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Feueraugen III. Das Schloss

Feueraugen III. Das Schloss

Titel: Feueraugen III. Das Schloss
Autoren: Alexander Zeram
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Musik immer näher zu kommen scheint, können sie endlich den Text verfolgen.
    "Was singen sie da? - 'Dies Illa?'"
    Im Nebel tauchen jetzt die ersten Gestalten einer gewaltigen Menschenmenge auf, die kurze Zeit später in endloser Reihe an ihnen vorüberziehen soll. Es sind in schwarze Umhänge gekleidete Frauen und Männer. Manche tragen schwarze Kreuze, andere schwarze Fahnen und alle singen. Das imaginäre Orchester hat ein gewaltiges Klangvolumen erreicht. Ein bedrückender, dumpfer Marsch wird gespielt und die Menschen singen in lang gezogenen Klagelauten.
    "Sie singen den Text einer Messe ... irgend so ein geistliches Werk!" findet Emma heraus. "Früher in der Kirch' hab' ich dös schon amal g'hört!"
    "Ja, was singen sie denn? - Ruski, sie sind doch so ein Musiknarr!" Rodolphe hält nichts von klassischer Musik, aber als Zeramov jetzt antwortet, findet er es gut, dass nicht alle sind wie er selbst.
    "Das ist zweifellos der Text der Totenmesse!" sagt der Schreiber. "Sie singen das 'Dies Irae'!"
    "Ich kenne keinen Komponisten, der solch eine Totenmesse geschrieben haben könnte!"
    "Ich auch nicht, Chef!" Zeramov ist beeindruckt von dieser wuchtigen, gewaltigen Musik.
    Ein schrecklicher Donner kracht im nächsten Moment, es wird mit einem Mal finster und dann erhellen Blitze in rascher Folge die gespenstische Prozession. Der erwartete Regen bleibt aus, doch mit einem Mal bricht das Orchester aus voller Kraft hervor. Ein Gewitter tobt mit ungeahnter Gewalt - fantastisch, erschreckend und bedrohend - vergleichbar mit nichts, was sie bisher erlebt hätten.
    Immer wieder erhellen Blitze die Vorüberziehenden und fügen sich dabei zusammen mit Donnerschlägen genau in den wuchtigen Marschrhythmus ein.
    Gerade endet eine grandiose Fuge, während der sie kein gesungenes Wort verstehen haben können. Nach einer mächtigen Posaunenfanfare stimmen die ersten Sänger wieder den Choral an - die Beginnstrophe des liturgischen Dies Irae. Von ergreifendem musikalischem Gehalt ist die Melodie und das kunstvolle Zusammenspiel zwischen Orchester und Sängern bringt den Text voll zur Entfaltung.
    Ein Requiem - ein Requiem im erschreckendsten und machtvollsten Teil - in der Sequenz, die vom Jüngsten Tag erzählt:
     
     
    'Dies irae, dies illa  1) Übersetzung siehe Anhang
    Solvet saeclum in favilla;
    Teste David cum Sibylla.
     
    Quantus tremor est futurus,
    Quando judex est venturus,
    Cuncta stricte discussurus.
     
    Tuba mirum spargens sonum,
    Per sepulcra regionum,
    Coget omnes ante thronum.
     
    Mors stupebit et natura,
    Cum resurget creatura,
    Judicanti responsura.
     
    Liber scriptus proferetur,
    In quo totum pontinetur,
    Unde mundus judicetur.
     
    Judex ergo cum sedebit,
    quidquid latet, apparebit:
    Nil in ultum remanebit!'
     
    (Sämtliche Textübersetzungen finden sich im Anhang)-
     
    Mit jedem Vers haben sich mehr Sänger dem Chor angeschlossen und beim dritten sind es bereits so viele gewesen, dass man kaum noch ein deutliches Wort hätte verstehen können.
    Marlène und Zeramov kennen den Text jedoch auswendig und ergriffen singen sie mit.
    "Schauderhaft!" entfährt es Dr. Glücklich, als die Sänger eine kunstvolle Quadrupelfuge in Angriff nehmen.
    "Großartige Musik!" meint Baldwin hingegen. "Wenn man nur ein Tonband hätte! Für einen Film wäre das die Musik. Noch nicht einmal mit der GEMA bräuchte man verhandeln!"
    "Auf jeden Fall passt der Text wunderbar hierher!" Michels Stimme klingt matt und resigniert. X hat ihm den lateinischen Wortlaut übersetzt und jetzt glaubt er, begriffen zu haben. "Besser könnte man uns nicht klar machen, dass wir gestorben sind."
    "Wie? Was sagen sie da?" der Signore dreht sich entrüstet nach Michel um. "Bin ich vielleicht tot?"
    "Wir sind alle tot!" jammert Michel - seine Stimme wird lauter. "Wir sind im Reich der Toten! Wir sind alle in Destrusion gestorben und haben uns die erfolgreiche Befreiung nur eingebildet!"
    "Was? Was soll der Unsinn?" schreit Ricci jetzt auf.
    "Verstehen sie denn den Text nicht? Die marschieren zum Höchsten Gericht. Es ist der Jüngste Tag und der Allmächtige wird sie richten! Oh, mon dieu ... piti‚ ... je n'ai rien fait de mal ..."
    "Verdammt! - Halt' s Maul!" herrscht Rodolphe ihn an. "Weg hier ... sonst bricht uns der Jammerlappen noch zusammen."
    "Rodolphe hat recht. Ich seh' ihn schon die Nerven verlieren und mit diesen Leuten mitmarschieren. Kommt, Kinder ... weg hier!"
    "Ja, weg hier! Ich will diese Musik nicht mehr hören. Ich halte das
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