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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Autoren: Susannah Calahan
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ich versuchte, mich von Pauls vertrauter, überlebensgroßer Präsenz trösten zu lassen. Mit seinem vorzeitig weiß gewordenen Haarschopf und seiner Neigung, mit dem Wort »fuck« um sich zu werfen wie mit einer Präposition, ist er der Inbegriff des Urjournalisten und ein glänzender Redakteur.
    Er hatte mir im Sommer meines zweiten Studienjahrs eine Chance als Reporterin gegeben, nachdem ein Freund der Familie uns miteinander bekannt gemacht hatte. Nach ein paar Jahren, in denen ich als Botin gearbeitet und Eilmeldungen und Informationen gesammelt hatte, mit denen ein anderer Reporter gefüttert wurde, der dann den Artikel schrieb, bot Paul mir meinen ersten großen Auftrag an: einen Artikel über Ausschweifungen in einem Burschenschaftshaus einer New Yorker Universität. Als ich mit einer Story und Fotos zurückkam, die mich beim Beer Pong 2 zeigten, war er von meiner Chuzpe beeindruckt; obgleich der Artikel nie gedruckt wurde, beauftragte er mich mit weiteren Storys, und so ging es weiter, bis ich 2008 in Vollzeit angestellt wurde. Als ich nun völlig unvorbereitet in Steves Büro saß, konnte ich nicht anders, als mich wie eine blutige Anfängerin zu fühlen, des Vertrauens und Respekts von Paul nicht würdig.
    Die Stille wurde lastender, bis ich aufblickte. Steve und Paul starrten mich erwartungsvoll an, daher begann ich einfach zu sprechen in der Hoffnung, es würde irgendetwas dabei herauskommen. »Ich habe da eine Story auf einem Blog gesehen …«, begann ich, krampfhaft einige Fetzen vager Gedanken zusammenzufassen.
    »Das ist nun wirklich nicht gut genug«, unterbrach Steve. »Du musst schon etwas Besseres bringen. Okay? Komm bitte nicht noch einmal mit leeren Händen hierher.« Paul nickte mit feuerrotem Kopf. Erstmals seit ich für meine Schulzeitung gearbeitet hatte, stand ich mit dem Journalismus auf Kriegsfuß. Ich verließ das Meeting, wütend auf mich selbst und bestürzt über meine Unfähigkeit.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Angela, als ich an meinen Schreibtisch zurückkehrte.
    »Ja, ja, weißt du, ich bin einfach schlecht in meinem Job. Nichts Besonderes«, scherzte ich grimmig.
    Sie lachte und zeigte dabei ihre charmant schiefen Schneidezähne.
    »Ach komm, Susannah. Was ist denn passiert? Nimm es nicht so ernst. Du bist doch ein Profi.«
    »Danke, Ang«, antwortete ich, einen Schluck von meinem lauwarmen Kaffee schlürfend. »Im Moment läuft es einfach nicht gut.«
    Ich grübelte über das Desaster dieses Tages nach, als ich abends vom Gebäude der News Corp. Building an der Sixth Avenue Richtung Westen durch das Touristengewimmel am Times Square zu meiner Wohnung im Viertel Hell’s Kitchen ging. Als wollte ich absichtlich das Klischee eines New Yorker Reporters erfüllen, hatte ich eine beengte Einzimmerwohnung gemietet, in der ich auf einer Ausziehcouch schlief. Aus der gespenstisch ruhigen Wohnung überblickte man den Hof mehrerer Mietshäuser, und es waren keine Polizeisirenen und grummelnden Müllwagen, die mich häufig weckten, sondern die Klänge eines Akkordeons, auf dem ein Nachbar auf seinem Balkon spielte.
    Noch immer war ich von meinen Bissen wie besessen, obwohl der Kammerjäger mir versichert hatte, ich habe nichts zu befürchten. Ich bereitete alles vor, damit er die Wohnung einsprühen konnte, und verbrachte die Nacht damit, alles wegzuwerfen, worin Wanzen möglicherweise Unterschlupf finden konnten. Meine geliebten Ausschnitte aus der Post wanderten in den Müll, Hunderte von Artikeln, die mich daran erinnerten, wie bizarr mein Job ist: Opfer und Verdächtige, gefährliche Slums, Gefängnisse und Krankenhäuser, Zwölfstundenschichten, die ich fröstelnd in Fotografenautos verbracht hatte, darauf wartend, Fotos von irgendwelchen bekannten Leuten zu »schießen«. Jede Minute davon hatte ich geliebt. Warum empfand ich das alles plötzlich als so schrecklich?
    Als ich diese Schätze in Mülltüten stopfte, blieb mein Blick immer wieder einmal an einer Schlagzeile hängen, darunter waren die größten Storys meiner bisherigen Karriere: Zum Beispiel die, als es mir gelang, ein Exklusivinterview im Gefängnis mit dem Kindsentführer Michael Devlin an Land zu ziehen. Alle Medien des Landes waren heiß auf diese Story, ich war nur eine Studentin im Abschlussjahr an der Washington University in St. Louis, aber Devlin sprach zweimal mit mir. Damit war die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Nachdem der Artikel erschienen war, waren seine Anwälte außer sich und
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