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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Autoren: Susannah Calahan
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der Redaktionsräume eines Boulevardblatts.
    »Wo ist das verdammte Bild zu dieser Bildunterschrift?«
    »Wie kann es sein, dass er nicht wusste, dass sie eine Prostituierte war?«
    »Welche Farbe hatten die Socken von dem Burschen, der von der Brücke gesprungen ist?«
    Es ist wie in einer Bar ohne Alkohol, angefüllt mit Nachrichtenjunkies, die mit Adrenalin vollgepumpt sind. Die Rollenbesetzung der Post ist einmalig: Hier gibt es die aufgewecktesten Schlagzeilenschreiber in der Branche, die abgehärtetsten Jäger nach Exklusivberichten und Typ-A-Work­aholics mit der chamäleonartigen Fähigkeit, praktisch mit jedem entweder gut zu stehen oder spinnefeind zu sein. An den meisten Tagen herrscht in der Redaktion gedämpfte Stimmung, wenn jeder schweigend kurze Dokumente oder Interviewquellen durcharbeitet oder Zeitungen liest. Häufig, so wie heute, ist es in der Redaktion so still wie in einer Leichenhalle.
    Auf dem morgendlichen Weg zu meinem Schreibtisch schlängelte ich mich durch die Boxenreihen, die mit grünen Straßenschildern aus Manhattan gekennzeichnet sind: Liberty Street, Nassau Street, Pine Street und William Street, Reminiszenzen an eine Zeit, als die Post an ihrem vorherigen Standort in der Innenstadt, am South Street Seaport, tatsächlich von diesen Straßen flankiert wurde. Mein Schreibtisch steht in der Pine Street. In der allgemeinen Stille ließ ich mich auf meinem Stuhl neben Angela nieder, meiner engsten Freundin bei der Zeitung, und lächelte ihr angespannt zu. Ich versuchte, meine Frage nicht zu laut durch den geräuschlosen Raum schallen zu lassen: »Weißt du irgendetwas über Wanzenbisse?«
    Schon oft hatte ich scherzhaft gesagt, wenn ich je eine Tochter haben sollte, würde ich sie mir so wünschen wie Angela. Sie ist in vielerlei Hinsicht meine Heldin in der Redaktion. Als ich sie drei Jahre zuvor das erste Mal sah, war sie, milde gesagt, eine schüchterne junge Frau aus Queens, nur wenige Jahre älter als ich. Sie hatte von einer kleinen Wochenzeitung zur Post gewechselt und war seither unter dem Druck eines Großstadt-Boulevardblattes zu einer der begabtesten Reporterinnen der Post herangereift, die stapelweise unsere besten Storys ablieferte. An den meisten Freitagen sah man Angela spätabends, wie sie vier Storys gleichzeitig auf ihrem geteilten Bildschirm schrieb. Ich konnte nicht anders, als zu ihr aufzublicken. Jetzt brauchte ich wirklich ihren Rat.
    Als Angela das gefürchtete Wort »Wanzen« hörte, rollte sie mit ihrem Stuhl etwas weiter von mir weg. »Erzähle mir bloß nicht, dass du welche hast«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln. Ich wollte ihr gerade meinen Arm zeigen, aber bevor ich meine Leidensgeschichte loswerden konnte, läutete mein Telefon.
    »Bist du bereit?« Es war Steve, der neue Redakteur der Sonntagsausgabe. Obwohl er gerade einmal Mitte 30 war, hatte man ihn bereits zum Chefredakteur der Sonntagsausgabe ernannt, für die ich arbeitete, und trotz seiner Freundlichkeit schüchterte er mich ein. Jeden Dienstag hatte jeder Reporter ein Präsentationsmeeting, in dem er seine Ideen für die nächste Sonntagsausgabe vorstellen musste. Als ich seine Stimme hörte, realisierte ich voller Panik, dass ich für dieses Wochenmeeting völlig unvorbereitet war. In der Regel konnte ich zumindest drei schlüssige Ideen vorstellen; nicht immer großartig, aber zumindest hatte ich immer etwas. Jetzt hatte ich gar nichts, nicht einmal genug, um mich mit einem Bluff über die nächsten fünf Minuten zu retten. Wie war das passiert? Es war unmöglich, dieses Meeting zu vergessen, ein wöchentliches Ritual, für das wir uns alle sorgfältig vorbereiteten, sogar an unseren freien Tagen.
    Vergessen waren die Wanzen, mit weit aufgerissenen Augen schaute ich Angela an, als ich mit der gewagten Hoffnung aufstand, mir würde schon irgendetwas einfallen, wenn ich erst einmal in Steves Büro stünde.
    Nervös ging ich die »Pine Street« zurück und in Steves Büro. Ich setzte mich neben Paul, Nachrichtenredakteur der Sonntagsausgabe und ein enger Freund von mir, der zugleich mein Mentor war, und das seit meines zweiten Studienjahrs. Ich nickte ihm zu, mied jedoch direkten Augenkontakt. Ich rückte meine zerkratzte große Annie-Hall-Brille zurecht, die ein publizistisch tätiger Freund einmal als meine persönliche Form der Empfängnisverhütung bezeichnet hatte, denn »niemand wird mit dir schlafen, wenn du diese Brille trägst«.
    Einen Moment saßen wir alle schweigend da und
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