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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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dem unendlichen Licht. Die leidenschaftliche Melodie schuf über den schlafenden Lagunen die Vorstellung eines einmütigen Sehnens, das aufstieg von den Wassern, von der Erde, von den Gräsern, von den Dünsten, von der ganzen Natur, um dem hohen Fluge zu folgen. Alle Dinge, die sonst leblos dalagen, hatten jetzt lebendigen Atem, eine fühlende Seele, den Wunsch, sich mitzuteilen.
    »Horch! Horch!«
    Und die Bilder des Lebens, die der Erwecker heraufbeschworen, und die antiken Namen der unsterblichen Kräfte, die im Weltall kreisen, und die Sehnsucht der Menschen, den engen Kreis ihrer täglichen Mühen zu durchbrechen, um im Sonnenglanze der Idee Frieden zu finden, und alle Gelübde und alle Hoffnungen und alles glühende Streben und alle Anstrengungen wurden einzig durch die Kraft dieser Melodie befreit von dem Schatten des Todes, an diesem Ort des Vergessens und des Gebets, angesichts dieser bescheidenen Insel, auf der der Angelobte der Armut seine Spuren hinterlassen hatte.
    »Scheint es nicht wie die verzückte Fröhlichkeit eines Sturmangriffes?«
    Vergeblich riefen die düsteren Ufer, die zerbröckelnden Steine, die vermorschten Wurzeln, all die Spuren zerstörter Pracht, die Düfte der Verwesung, die trauernden Zypressen, die schwarzen Kreuze, vergebens riefen sie dasselbe Wort in die Erinnerung, das schon längs des Flusses die Statuen mit ihren steinernen Lippen gepredigt hatten. Stärker als alle diese Zeichen berührte einzig dieser Jubel- und Siegesgesang das Herz dessen, der in Freude schaffen sollte. »Vorwärts! Vorwärts! Höher, immer höher hinauf!«
    Und Perditas Herz, rein von jeder Niedrigkeit, zu jeder Prüfung bereit, folgte dem hohen Fluge des Hymnus und gelobte sich von neuem dem Leben. Wie in jener fernen Stunde nächtlichen Rausches wiederholte die Frau: »Dienen, dienen!«
     
    Das Fahrzeug glitt in einen zwischen grüne Ufer eingeschlossenen Kanal, die dem Auge so nahe rückten, daß man deutlich die zahllosen Schilfgräser unterscheiden und das frische Grün von zartester Farbe entdecken konnte.
    »Sei gelobt, mein Herr Gott, für unsere Mutter Erde, die tausendfache Früchte und farbige Blumen und Gräser hervorbringt und erhält.«
    Aus der Überfülle ihres Gemütes ermaß die Frau die Liebe des der Armut Geweihten für alle Kreatur. So groß war ihr Überfluß, daß sie überall nach Lebendigem suchte, um es anzubeten; und ihr Blick wurde wieder kindlich, und alle Dinge spiegelten sich darin wie in dem friedlichen Wasser, und manche davon schienen aus ihrer fernsten Vergangenheit aufzutauchen, damit sie sie wiedererkenne, und lagen wie unerwartete Erscheinungen vor ihr.

    Als das Schiff sich dem Landungsplatz näherte, staunte sie, daß sie schon angekommen wären.
    »Willst du aussteigen, oder willst du wieder umkehren?« – fragte Stelio, sich aufrüttelnd.
    Sie zögerte anfangs, denn ihre Hand ruhte in der seinen, und sie bangte davor, sich loszulösen, wie vor einer Verminderung des süßen Glücksgefühles.
    »Ja« – sagte sie lächelnd – »laß uns auch über dieses Gras ein wenig wandeln.«
    Sie landeten auf der Insel San Francesco. Eine junge Zypresse grüßte sie schüchtern. Kein menschliches Gesicht war zu sehen. Die unsichtbare Myriade erfüllte die Einsamkeit mit ihrem Lobgesang. Der Dunst zerriß, ballte sich zu Wolken zusammen, die die Sonne verdüsterten.
    »Über wieviel Gras sind wir schon zusammen gewandelt, nicht wahr, Stelio?«
    Er sagte:
    »Jetzt aber kommt der Aufstieg über harte Felsen.«
    Sie sagte:
    »Mag der Aufstieg kommen und sei er noch so hart.«
    Er wunderte sich über die ungewohnte Freudigkeit, die in ihrem Ausdruck lag. Er sah sie an; in ihren schönen Augen sah er den Rausch.
    »Warum« – sagte er – »fühlen wir uns so froh und so frei auf dieser verlorenen Insel?«
    »Weißt du es?«
    »Für die anderen ist das eine traurige Pilgerfahrt. Wer hierher kommt, kehrt mit dem Geschmack des Todes im Munde wieder zurück.«
    Sie sagte:
    »Wir sind im Stande der Gnade.«

    Er sagte:
    »Wer am meisten hofft, lebt am meisten.«
    Und sie:
    »Wer am meisten liebt, hofft am meisten.
    Der Rhythmus des Gesanges in den Lüften fuhr fort, ihre dealste Wesenheit zu sich hinaufzuziehen.
    Er sprach: »Wie schön du bist!«
    Eine plötzliche Röte übergoß das leidenschaftliche Gesicht. Zitternd blieb sie stehen mit halbgeschlossenen Augen.
    Mit erstickter Stimme sagte sie:
    »Es geht ein heißer Luftzug. Hast du nicht auf dem Wasser von Zeit zu Zeit einen
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