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Feuer auf See

Feuer auf See

Titel: Feuer auf See
Autoren: Jack London
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heiße Sohle gegen das Hosenbein rieb, lachte der Steuermann in seiner wilden, knurrigen Art.
    »Der Vorraum der Hölle«, sagte er. »Die Hölle selbst ist gerade unter Ihren Füßen.«
    »Das nenn’ ich eine Hitze!« rief McCoy unwillkürlich aus, indem er sich das Gesicht mit einem bunten Taschentuch abwischte.
    »Hier ist Mangareva«, sagte der Kapitän, indem er sich über den Tisch beugte und auf einen schwarzen Punkt mitten in der weißen Leere der Karte zeigte. »Und hier, gerade dazwischen, ist eine andre Insel. Warum die nicht anlaufen?«
    McCoy blickte nicht auf die Karte.
    »Das ist die Crescentinsel«, antwortete er. »Sie ist unbewohnt und erhebt sich nur zwei bis drei Fuß aus dem Wasser. Lagune, aber keine Einfahrt. Nein, Mangareva ist für unsere Zwecke der nächste Platz.«
    »Also dann Mangareva«, sagte Kapitän Davenport, den brummigen Einwand des Steuermanns unterbrechend. »Rufen Sie die Mannschaft nach achtern, Mr. König.«
    Die Matrosen gehorchten. Sie schoben sich schwer über das Deck und waren mühsam bestrebt, sich zu beeilen. Jeder Bewegung war deutlich die Erschöpfung anzumerken. Der Koch kam aus seiner Kombüse, um zu hören, und der Kajütenjunge hielt sich dicht neben ihm.
    Als Kapitän Davenport den Leuten die Lage auseinandergesetzt und ihnen seine Absicht, nach Mangareva zu fahren, verkündet hatte, brach ein Aufruhr los. Vor einem Hintergrund gurgelnden Polterns erhoben sich tierische Wutschreie und hie und da ein deutlicher Fluch, ein Wort oder ein Satz. Eine schrille Londoner Stimme erhob sich einen Augenblick über den Lärm: »Verdammt! Vierzehn Tage in der Hölle – und jetzt will er mit dieser schwimmenden Hölle wieder in See!«
    Der Kapitän konnte sie nicht im Zaum halten, aber die milde Anwesenheit McCoys schien sie zu beschämen und zu beruhigen, und das Murmeln und Fluchen erstarb, bis die ganze Mannschaft, außer einem oder dem andern Gesicht, das sich ängstlich dem Kapitän zuwandte, stumm das Verlangen nach den grünbekleideten Gipfeln und der steilen Küste von Pitcairn auszudrücken schien.
    Sanft wie ein Frühlingslüftchen war die Stimme McCoys:
    »Kapitän, mir war, als hörte ich einige Leute sagen, daß sie Hunger hätten.«
    »Allerdings«, lautete die Antwort. »Ich habe die letzten Wochen nur einen Schiffszwieback und einen Löffel Lachs täglich gegessen. Wir sind auf Ration gesetzt. Sehen Sie, als wir das Feuer entdeckten, verschalten wir sofort die Luken, um es zu ersticken, und dann merkten wir erst, wie wenig Nahrungsmittel im Vorratsraum waren. Aber es war leider schon zu spät. Wir wagten es nicht, das Lazarett anzugreifen. Hunger? Ich hab’ genau solchen Hunger wie sie.«
    Er sprach wieder mit den Leuten, und wieder erhob sich das Poltern und Fluchen mit vor Wut verzerrten, tierischen Gesichtern. Der zweite und dritte Steuermann waren zum Kapitän getreten und standen hinter ihm am Rande der Hütte. Ihre Gesichter waren starr und ausdruckslos. Die Meuterei der Mannschaft schien sie eher zu langweilen. Kapitän Davenport blickte seinen ersten Steuermann fragend an, doch der zuckte nur die Achseln als Zeichen seiner Hilflosigkeit.
    »Sie sehen«, sagte der Kapitän zu McCoy, »Sie können keinen Seemann zwingen, auf brennendem Schiffe das sichere Land zu verlassen und wieder in See zu gehen. Es ist nun vierzehn Tage lang ihr schwimmender Sarg gewesen. Sie sind abgearbeitet und ausgehungert und haben genug davon. Wir kreuzen nach Pitcairn.«
    Aber der Wind war schwach, der Boden der ‘Pyrenees’ unklar, und sie konnte nicht gegen die starke westliche Strömung aufkommen. Nach zwei Stunden hatten sie drei Meilen verloren. Die Matrosen arbeiteten eifrig, als ob sie durch ihre Körperkraft die ‘Pyrenees’ gegen die widrigen Elemente zu treiben vermochten. Aber ob sie Steuerbord oder Backbord halsten, immer sackten sie wieder nach Westen weg. Der Kapitän wanderte ruhelos auf und ab, blieb gelegentlich stehen, um die hier und dort aufsteigenden kleinen Rauchsäulen zu beobachten und bis zu ihrem Ausgangspunkt auf dem Achterdeck zu verfolgen. Der Zimmermann war andauernd damit beschäftigt, diese Stellen ausfindig zu machen und immer dichter zu kalfatern.
    »Nun, was meinen Sie?« fragte der Kapitän schließlich McCoy, der den Zimmermann mit dem ganzen Interesse und der Neugier eines Kindes beobachtete.
    McCoy blickte nach der Küste, die im zunehmenden Nebel verschwand.
    »Ich denke, es ist am besten, wir steuern nach Mangareva. Bei dem Wind,
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