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Feine Milde

Feine Milde

Titel: Feine Milde
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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endlich«, hörte er Berns schnaufen. »Ich hoffe, du sitzt gut.«

    Die beiden Kinderleichen waren sofort in die Pathologie gebracht worden, und van Gemmern hatte sich mit deutlich mehr Elan an die Untersuchung des Wagens gemacht. Berns hatte ihm seine Autoschlüssel in die Hand gedrückt und sich vom Bestatter mit zum Präsidium nehmen lassen. Er saß brütend im Labor, als sein Kollege jetzt mit dem Babytragekorb hereinkam und ihn vorsichtig auf den Tisch stellte.
    »Die waren völlig ausgetrocknet«, sagte Berns anklagend. »Hast du die Haut gesehen und die kaputten Lippen? Verdurstet oder verhungert … und vollgepinkelt bis obenhin.«
    Van Gemmern sagte nichts. Er zog sich langsam die Plastikhandschuhe an und holte mit spitzen Fingern zwei Nuckis, ein paar Windeln und ein blaues Gummitier aus dem Korb.
    »Was meinst du, wie alt die wohl waren?« fragte Berns.
    »Drei, vier Wochen vielleicht.«
    Berns wischte sich mit beiden Händen durchs Gesicht.
    »Klaus?«
    »Hm?«
    »Warum haben wir die verdammte Karre nicht gestern noch untersucht?«
    »Weil es dunkel wurde.«
    »Wenigstens reingucken.«
    »Wir haben reingeguckt.«
    »Ja«, brüllte Berns, »aber nicht hinter diese verfluchten Kartons!«
    Van Gemmern sah ihn ausdruckslos an und drehte sich weg.
    »Vielleicht ist es unsere Schuld«, sagte Berns.
    »Schuld!« schnaubte van Gemmern und ging kopfschüttelnd zu dem Brett, auf dem ein paar Bücher standen.
    »Dehydration«, murmelte er vor sich hin.
    »Ich rufe Bonhoeffer an«, meinte Berns mit dünner Stimme.
    Van Gemmern schlug ein Buch auf und fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang.
    »Die Kinder sind doch gerade erst in der Pathologie angekommen«, sagte er, ohne aufzusehen. Berns ließ die Hand auf dem Hörer liegen.
    »Ich hab dich ja noch nie verstanden, aber vielleicht … du hast ja keine Kinder.«
    Van Gemmerns Mundwinkel zuckte leise. »Was macht das für einen Unterschied, Kind oder erwachsen?«
    »Weiß ich nicht«, funkelte Berns ihn an, »aber es macht einen. Wälze du deine gottverdammten Bücher und laß mich in Ruhe!«
    Er kam nicht zum Telefonieren, denn in der Tür stand plötzlich Stanislaus Siegelkötter, von allen hier mehr oder weniger liebevoll Stasi genannt. Selbst van Gemmern hatte Mühe, seine Gesichtszüge zu kontrollieren, denn ihr sonst stets geleckter Chef sah im verschwitzten Tennisdress mit kurzem Höschen und Stirnband doch reichlich fremd aus. Seine Inquisitionstechnik allerdings war nur allzu vertraut. Die Fragen schossen nur so aus ihm heraus: Wo waren van Appeldorn und Heinrichs? Wußten sie schon genau, was und wie es passiert war? War Toppe verständigt worden? Hatte sich jemand angemessen um Frau Breitenegger gekümmert?
    Die einzige Frage, die sie sicher erwartet hatten: »Wieso erfahre ich als letzter von der ganzen Geschichte?« blieb aus. Hatte er was dazu gelernt, oder berührte ihn Breiteneggers Tod tatsächlich?
    Van Gemmern beantwortete trocken jede einzelne Frage. Der Chef stützte sich währenddessen sportlich mit beiden Händen oben im Türrahmen ab. »Nun gut«, meinte er schließlich, »geben Sie mir Ihren Bericht. Ich werde zunächst Frau Breitenegger aufsuchen.«
    »Was den Bericht angeht.« begann Berns giftig, aber van Gemmern fiel ihm ins Wort: »Wir haben zwei Kinderleichen gefunden.«

6
    Toppe und Astrid hatten ganz früh am Samstag morgen aufbrechen wollen, aber bis sie das Zelt abgebaut, alles zusammengepackt und an der Rezeption bezahlt hatten, war es doch schon nach zehn gewesen, und an der Fähre in Pointe de Grave hatten sie dann auch noch fast eine Stunde warten müssen. Beim Fahren hatten sie sich abgewechselt und nur ein paar ganz kurze Pausen gemacht, trotzdem wurde es zwei Uhr morgens, bis sie endlich in Kleve ankamen. Sie waren todmüde, ließen alle Sachen im Auto und fielen nur noch ins Bett.

    Toppe wachte auf, weil er fürchterlich schwitzte. Vorsichtig, um Astrid nicht zu wecken, schob er sich aus dem Bett, ging zum Fenster und öffnete es weit. Draußen war es frisch, die Vögel machten Spektakel – es mußte noch sehr früh sein. Der Wecker war noch im Koffer. Wo hatte er diese Nacht nur seine Armbanduhr hingelegt? Er fand sie unter seiner Hose auf dem Fußboden. Erst zehn vor fünf. Zu früh, irgendwen anzurufen. Er legte sich wieder hin, verschränkte die Hände im Nacken und starrte an die Decke. Vorgestern hatte er spät noch einmal mit Norbert telefoniert. Ob die inzwischen mehr wußten? Eigentlich hatten er und Astrid
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