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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie
Autoren: Tom Sharpe
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Mum«, entgegnete Annie. »Sonst noch was?«
    Emmelia schüttelte den Kopf. Nachdem Annie das Zimmer verlassen hatte, dachte Emmelia lange darüber nach, wie es möglich war, daß sie so wenig über diese Frau wußte, mit der sie zweiunddreißig Jahre lang unter einem Dach gewohnt hatte. Das war der alte Fehler der Petrefacts, daß sie andere Menschen als selbstverständlich betrachteten. Und wenn sie Annie falsch eingeschätzt hatte, war es dann nicht ebenso möglich, daß sie sich auch in Rosie und Yapp täuschte? Vielleicht hatten die beiden Willy Coppett doch umgebracht.
    Während sie in diesem Morast der Ungewißheit nach festem Grund suchte, fiel ihr Blick unversehens auf die Gartenzwerge draußen auf dem Rasen. So, wie sie dastanden, waren sie keine Denkmäler mehr für Willy oder auch nur für Rosies kindliche Unschuld, sondern wirkten wie ein groteskes Tableau, das über ihre Naivität grinste. Sie selbst war die Brunnennymphe, über die sie sich lustig machten, ein Relikt jener geordneten, sich selbst betrügenden Welt, in der die Armen stets außerhalb des eigenen Blickfeldes lebten und Mord ein Drama war, das sich irgendwo weit weg abspielte und von unvorstellbar bösen Menschen verübt wurde, die unweigerlich auf dem Schafott enden mußten. Aber das Leben war nicht so und war auch nie so gewesen. Das Leben war völlig anders.
    Inspektor Garnet hätte ihr da zweifellos recht gegeben. Seit sechs Tagen schon hielt sich Rosie strikt an den Rat ihrer Mutter, stets einen Polizisten zu fragen, wenn sie sich verirrt hatte oder in Schwierigkeiten war, und dann zu tun, was er sagte. Da der Polizist – in diesem Fall gleich mehrere – ihr immer wieder sagte, sie solle gestehen, kam Rosie dieser Aufforderung erschreckend bereitwillig nach. Allerdings keine zwei Mal mit derselben Geschichte. Und hier kam ihr ihre Affinität zu Schicksalsromanen zugute. Sie hatte bis ins finsterste Detail auf so viele widersprüchliche Weisen geschildert, wie sie Willy hätte umbringen können, ohne auch nur einmal zuzugeben, es getan zu haben, daß einige Kripobeamte darum gebeten hatten, von diesem Fall abgezogen zu werden, und das Vertrauen des Inspektors in sein eigenes Urteil schwer erschüttert worden war. Doch jetzt hatte er endlich handfeste Beweise. Der Dreck an Miss Petrefacts Wagen stimmte haargenau mit dem Erdreich an der Stelle überein, an der man den Dildo gefunden hatte. So blieb nur noch festzustellen, ob Rosie Auto fahren konnte. »Kommt drauf an«, sagte sie, als man ihr diese Frage stellte. »Worauf kommt es an?« wollte der Inspektor wissen. »Also, ich fahre gern im Auto«, sagte Rosie. »Die Dame von der Fürsorge hat mich einmal mitgenommen, und ...«
    »Aber haben Sie je in Miss Petrefacts Wagen gesessen?«
    »Kommt drauf an«, sagte Rosie.
    Inspektor Garnet knirschte mit den Zähnen. Rosies üble Gewohnheit, diesen Ausdruck zu gebrauchen, um herauszufinden, was er von ihr hören wollte, wurde allmählich unerträglich. »Dann waren Sie also in ihrem Auto?«
    »Ja.«
    »Und wo?«
    »In der Garage.«
    »In welcher Garage?«
    »Miss Petrefacts.«
    »Und wohin sind Sie danach gegangen?«
    »Nach was?« fragte Rosie, deren schon zu ihren besten Zeiten minimale Konzentrationsfähigkeit durch Schlafmangel und zu viele Tassen schwarzen Kaffees beträchtlich reduziert war. Jetzt knirschte Inspektor Garnet nicht mehr mit den Zähnen, sondern seine Kiefer mahlten.
    »Nachdem Sie in der Garage im Auto waren.«
    »Kommt drauf an«, fiel Rosie wieder in ihre montone Zweideutigkeit zurück.
    Das war zuviel für den Inspektor. In seinem Mund knackte etwas. »Verfluchte Scheische«, nuschelte er, während er aus dem Zimmer stürzte und die Trümmer seines oberen Gebisses ausspuckte, »schauen Schie blosch her, wasch Schie mit dieschem verdammten ›Kommt drauf an‹ angerichtet hat.«
    »Sie könnten es ja mit Superblitz versuchen«, meinte der Sergeant unvorsichtigerweise. »Dieses Zeug klebt angeblich alles.«
    Wütend funkelte der Inspektor ihn an. »Dasch fehlte mir gerade noch«, brüllte er, »dasch mir für den Rescht meinesch Lebensch scheischfalsche Tschähne im Maul kleben. Wenn dasch näschtemal jemand in meiner Gegenwart dieschen Auschdruck in den Mund nimmt, dann scholl er schuvor lieber scheine Knochen numerieren.«
    Als das Telefon klingelte, hob er ohne nachzudenken den Hörer ab. Es war der Polizeidirektor.
    »Irgendwelche Fortschritte?« fragte er. »Ich habe soeben einen Anruf aus dem Innenministerium
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