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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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dabei, pro Silbe einen Kringel erzeugend.
    »Tag, Herr Kollege.«
    »Wen haben Sie denn da mitgebracht?«
    »Das ist Hartmut ... wie war Ihr Nachname noch gleich?«
    Hartmut will antworten, doch der Raucher zieht eine Zeitung aus einem Stapel. Er schlägt die Lokalseite auf. Zu sehen ist ein kleines Bild von Hartmut. Ein Bericht von der gestrigen Lesung, klein, eine Achtelseite. »Ich wusste doch, dass ich das Gesicht schon mal irgendwo gesehen habe.«
    »Der junge Mann sucht Arbeit«, sagt Frau Hasselbeck.
    Hartmut schaut zu mir und formt lautlos die Frage »Hier?« mit den Lippen. Hinter der Stahltür möchte er wohl nicht anfangen. Die Luft ist einfach zu schlecht.
    »Literatur- und Philosophiestudium in Bochum, summa cum laude, Wahlberliner«, sagt Frau Hasselbeck, als könne Hartmut sich nicht selber anpreisen.
    »Ulli?«, ruft der Raucher nach hinten. »Haben wir hier noch was zu tun?«
    Es gibt keine Büros in dieser Sektion, nur einzelne Schreibtischinseln im offenen Raum, von denen Zigarettenqualm aufsteigt wie Rauchsäulen von den im Meer verstreuten Wrackteilen eines explodierten Tankers. An der Wand hängen Poster von Volker Schlöndorff, William Faulkner und Uwe Teilkamp. Ulli steht auf und schlendert zu uns, einen Glimmstengel in der Hand. In der anderen hält er ein Manuskript, das er gerade prüft.
    »Und?«, fragt sein Kollege, »taugt das was?«
    Ulli schüttelt den Kopf. »Ist Schund. Viel zu hohes Tempo, nur Plot, kaum Monolog oder Reflexion, konstanter Ich-Erzähler. An einer Stelle kommt sogar ein Witz.«
    »O Gott.«
    »Ja. Er will wohl ein Ralf Rothmann sein, aber er ist bloß ein Komiker.«
    Ich frage mich, woher die beiden wissen, was der Autor sein will. Frau Hasselbeck wechselt das Standbein.
    »Und? Habt ihr was für den jungen Mann?«
    »Archiv«, sagt Ulli. »Nur Archiv. Mehr kann ich gerade nicht anbieten.«
    Hartmut formt keine Worte mehr mit dem Mund. Er denkt nach. Vielleicht ist das Archiv ja qualmfrei. Hartmut archiviert gern. Es wäre immerhin ein Job.
    »Allerdings«, bemerkt Ulli, und Hartmut hält inne.
    »Was?«, fragt er.
    »Wir müssten dann halt mal schauen, wie wir das mit der Bezahlung machen ...« Da ist er wieder. Mein Lieblingssatz.
    Den Job kann Hartmut haben, aber ob er auch Gehalt dafür bekommt, ist eine andere Frage. Schließlich geht es nicht ums Geld, sondern um die Selbstverwirklichung. Der Traum der 68er ist wahr geworden.
     

Getripletes Gehalt
    »Ich hab den Job«, sagt Caterina, als sie heimkommt.
    Draußen auf der Straße hört man das Lärmen junger Männer, ein Stimmenstrudel, aus dem vereinzelt besonders laute Rufe hervorstoßen wie Seeungeheuer, die nach dem Schiff schnappen. Drinnen hört man das Kratzen von Yannicks Krallen an halbgeöffneten Umzugskartons und die Schreie des Äffchens Ai Ai, das schon wieder von seinem schmalen Steg in die Lavahölle fällt. Ich lege das Joypad ab, stehe auf und umarme meine Freundin. »Meine Heldin!«, sage ich, wie sie es sonst zu mir sagt.
    Hartmut nickt nur anerkennend, geht in die Küche, setzt einen Kaffee auf und hockt sich an den wackeligen Tisch, auf dem sein Laptop steht. Weiterspielen geht nicht, wenn die Frau mit einem Job nach Hause kommt. Das weiß auch er.
    »Grafikdesignerin bei Miller & Associates«, sagt Caterina.
    Ich folge ihr in die Küche, wo sie drei Tassen aus dem Klapperschrank holt und auf die Vollendung des Kaffees wartet. Sie wiederholt den Namen: »Miller & Associates! Sagt dir das nichts?«
    Ich zucke mit den Schultern.
    Hartmut sagt, den Blick auf den Monitor gerichtet: »Die größte Werbeagentur Deutschlands. Topadresse.«
    Ich schaue Caterina an, fasse sie an beiden Schultern und sage: »Hey!« Dann denke ich daran, wie traurig sie war, als ich sie damals in unserem Institut zur Dequalifikation in Bochum extra von der bildenden Kunst abbringen musste, damit sie als Anstreicherin hätte Geld verdienen können. Werbung ist zwar nicht Anstreichen, aber der Job wird erneut verhindern, dass sie sich mit ihren Bildern befassen kann. Ich lasse ihre Schultern los, doch sie lächelt. Sie ist nicht traurig wie früher. Sie gießt Kaffee ein.
    »Das kann man mal ausprobieren«, sagt sie und reicht die Tassen herum, »auch für so was hab ich studiert.«
    Hartmut nimmt nickend den Kaffee entgegen, stellt ihn neben dem Laptop ab, greift einen Stift und notiert sich mit schmalen Augen etwas. Er klickt weiter, und wir zucken zusammen, als aus den Boxen des Computers ein lauter Schrei ertönt,
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