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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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räumt Paletten ab?«, horche ich auf.
    »Ja«, sagt Hartmut.
    Die Tram macht einen Halt. Ein Mann mit Zehntagebart, gelben Zähnen und Haaren wie Holzwolle steigt ein, stellt sich in die Mitte des Waggons und sagt: »Guten Tag! Mein Name ist Adelholzer, und ich bin obdachlos, seit meine Frau mich für diesen Thommsen hat sitzenlassen. Ich habe schwere Rückenprobleme, aber ich versuche dennoch jeden Tag, eine Arbeit zu bekommen. Das dürfen Sie mir glauben. Meine Familie ist in den brandenburgischen Kriegen durch Alliierte ums Leben gekommen, und eben erst letzte Woche habe ich einem Jungen am Schlachtensee das Leben gerettet, der in einen Strudel geraten war.«
    Hartmut senkt den Kopf, drückt die Fäuste in seine Augen, hebt ihn wieder, sieht mit nun rot umrandeten Augäpfeln zu dem Mann hinüber und ruft: »Aufhören!«
    Die Fahrgäste, die bislang konzentriert das Designkonzept ihrer Schuhe analysiert haben, sehen auf.
    Hartmut sagt zu dem Mann: »Sie trinken, Sie rauchen, Sie essen Fleisch, und wahrscheinlich werfen Sie noch schlechtes Speed ein, so wie Sie aussehen. Deswegen glauben Sie, Sie müssten sich hier mit Heldengeschichten profilieren. Das ist Unsinn! Angela Merkel geht zum Zahnarzt, nimmt keine Drogen, betet dreimal am Tag und kauft dann heimlich für 200 Milliarden Kampfflugzeuge ein, oder? Also, kommen Sie her!« Hartmut greift in die Innentasche seiner Stoffjacke, die er heute übergeworfen hat und auf der »Sub Pop« steht. Das ist die legendäre Plattenfirma von Nirvana und all den frühen Grungebands, ein Monolith der Glaubwürdigkeit, an dem jede Kritik abperlt wie Wasser an Fenstern, die mit Lotusblütenextrakt eingeschmiert wurden. Er will damit in der Redaktion Eindruck schinden. Er gibt dem Trinker zwei Euro. Ein paar Fahrgäste tun es ihm gleich. Der Typ will gerade gehen, da wir uns der nächsten Haltestelle nähern, als Hartmut ihm hinterherruft: »Stopp!«
    Der Mann dreht sich um, eine Hand an der gelben Haltestange. Er sieht jetzt aus wie die Hexe Obaba aus Ninja Gaiden. Hartmut wedelt mit einem Fünfer. Der Mann nähert sich wieder. Hartmut zieht den Schein zurück: »Zwei dickbelegte Kürbiskernbrötchen.
     
     
    Eins mit Käse und eins mit Ei. Dazu etwas Obst und einen guten Kaffee. Zum Schluss einen Donut mit Schokosplittern.«
    Der Mann sieht ihn mit leicht zittrigem Blick an.
    Hartmut hält den Schein zurück. »Okay?«
    Der Mann nickt.
    Hartmut gibt ihm den Schein.
    Der Mann geht zur Tür.
    »Kürbiskern!«, ruft Hartmut, »kein Mohn, kein Sesam, kein Roggen. Kürbiskern!«
    Der Mann bleibt einen Moment auf dem Trittbrett stehen, sieht sich nicht mehr um, nickt unmerklich, springt auf den Steig und verschwindet vorm Tramfenster mit wehendem Mantel wie eine Vogelscheuche bei Nacht.
     
    Zu unserem Erstaunen liegt die Redaktion des Magazins »Horizons« in einem alten Bunker, ähnlich wie neulich der Club »Kellerloch«, nur eben überirdisch. Klobig steht der große Kubus auf einem mit Unkraut bewachsenen Grundstück, dem sich rechts ein Bolzplatz und links normale Wohnhäuser anschließen, in deren Erdgeschoss eine Schlecker-Filiale, ein Sonnenstudio und ein großes Fahrradgeschäft untergebracht sind. Der Kubus hat keine Fenster. Seine Eingangstür ist aus Stahl, der Name des Magazins ist lediglich auf einem kleinen Messingschildchen neben der Tür eingraviert. Sonst deutet nichts darauf hin, dass hier in entscheidender Weise Meinung gemacht wird. Auf dem Bolzplatz spielen ein paar Jungs den Ball hin und her. Eine Dogge und ihr Herrchen erledigen im Wildwuchs ihr Geschäft, die Dogge im Sitzen, das Herrchen im Stehen. Die Dogge trägt ein Halsband, in das weitere kleine Doggen als Zierde eingeprägt sind. Das Herrchen trägt ein T-Shirt, auf dem »Dobermann« steht. Die Dogge hat längeres Haar.
     
    Hartmut drückt den Klingelknopf.
    Innen ertönt kein Klingeln, sondern das berühmte Riff von Nirvanas »Smells Like Teen Spirit«: »Dong di döng, chika chika, döng di döng di döng, chika chika, döng di döng di döng ...«
    Ein Mann mit Hornbrille und James-Dean-Frisur macht die Stahltür auf. Er ächzt dabei. Ein junger Kerl, wahrscheinlich ein Praktikant, hilft ihm beim Ziehen. Die Tür ist sehr dick. Der Praktikant ist sehr dünn, hat einen schwarzen Seitenscheitel, X-Beine und trägt ein T-Shirt der Band From Autumn To Ashes. An seinem Handgelenk baumeln Stoffeintrittsbändchen von Festivals.
    »Ihr müsst die beiden Bewerber von der Mail gestern sein, nicht wahr?«,
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