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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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Manuskripten oder sprechen mit persönlich anwesenden Autoren, die in kleinen Sesseln sitzen, die Beine übereinandergeschlagen haben und zu dem, was ihre Lektorin zu sagen hat, in regelmäßigen Abständen bedächtig nicken. Manche der Damen benehmen sich mädchenhaft und beenden ihre Telefonate mit einem zeichentrickhaften Ausruf namens »Gooodie!«; andere sagen mit gesenkter Stimme und strengem Blick zu ihrem Gegenüber am anderen Ende der Leitung: »Ganz ehrlich, wir brauchen da schon mehr redaktionelle Unterstützung, wenn wir bei Ihnen eine Anzeige schalten sollen.« Diese Damen horchen dann noch ein paar Minuten in den Hörer, um sich zu vergewissern, dass sie verstanden wurden, und beenden das Gespräch mit einem scheinbar unschuldig nachfassenden »Okay? Ja?«, das in Wirklichkeit ein Befehl ist.
    »Das alles hier«, erklärt Frau Hasselbeck, »ist unsere Unterhaltungsabteilung. Hier werden die Frauenbücher gemacht und die Männerbücher. Die Komödien. Alles, was unterhält. Hallo, Volker!« Frau Hasselbeck grüßt den einzigen Mann, der auf dieser Etage herumläuft. Er steuert aufs Treppenhaus zu und will aufs Dach, eine Zigarette rauchen. »Inhouse darf hier nicht geraucht werden«, sagt Frau Hasselbeck, »zumindest nicht in dieser Sektion.«
    »Sektion?«, fragt Hartmut.
    »Ja«, sagt Frau Hasselbeck, als sei diese Frage etwas unverständlich.
    »Das ist unser Konferenzraum«, sagt Frau Hasselbeck und zeigt uns ein helles Zimmer mit einer großen, aus abgeschrägten Tischen zusammengepuzzelten Rundtafel in der Mitte. In der Ecke stehen ein Flipchart und eine Soundanlage, an der Wand hängt eine auf DIN AO ausgedruckte, übersichtlich gestaltete Merkliste zur Beurteilung aktueller Manuskripte. Ich überfliege ein paar der Kriterien:
     
    »Kann ich dem Leser in drei Minuten erklären, was es mit diesem Buch auf sich hat?«
     
    »Ist der Leser nach 10 Seiten Lektüre vollständig über den Konflikt und die Hauptfiguren im Bilde?«
     
    »Kann ich den Protagonisten lieben und hassen?«
     
    »Wurden in angemessener Dosis Umzüge, Renovierungen und Beziehungsproblem behandelt?«
     
    Frau Hasselbeck und Hartmut sind derweil schon weiter.
    »In unserem Verlag achten wir in allen Sektionen streng auf Qualität«, sagt sie, und ich frage mich, warum sie das erwähnt. Als Verlagsfrau wird sie wohl kaum auf Nicht-Qualität achten und sagen: >Ach, schau an! Ein unterirdisch schlechtes Manuskript. Man identifiziert sich erst nach 320 Seiten mit dem Protagonisten. Das verlegen wir!< »Die Zeiten sind nicht einfacher geworden«, fährt sie fort, und anders als in der U-Bahn stört es mich ah diesem Ort nicht, das Hartmut das hohle Gequatsche unkommentiert lässt. Hier ist Schweigen ein Schritt hin zum Job, für die Haushaltskasse, zum Versorgersein. Frau Hasselbeck führt uns durch einen langen Flur, in dem die Beleuchtung nachlässt. Auf den letzten Metern gibt es keine Büros mehr. Keine Türen oder Fenster in den Wänden. Die Wände sind leer bis auf ein paar Bilder, die kleine Häuser und Backsteinhöfe zeigen. Alte Schwarzweißfotos. Der Gang mündet in eine schwere Tür aus Stahl, wie man sie aus U-Boot-Filmen kennt, mit mannsgroßem Drehkreuz als Öffner.
    »Sapperlot«, sagt Hartmut.
    »Das ist die Tür zu Sektion 2«, sagt Frau Hasselbeck, »der Abteilung für Literatur.«
    Hartmut sieht mich an. Ich mache Hamsterbacken.
    Frau Hasselbeck hängt sich mit beiden Händen an das Drehkreuz, zerrt und ächzt. Sie sagt: »Wir hier in der Unterhaltung haben nichts dagegen, wenn ab und zu was aus der Literatur rüberschwappt, aber umgekehrt geht das nicht.« Sie stöhnt und zieht. »Die Herren da drin wollen, dass ihre Abteilung absolut keimfrei bleibt.«
    »Soll ich helfen?«, fragt Hartmut.
    Ich komme hinzu. Gemeinsam stemmen wir die Tür zur Literatur auf.
    »Schnell, schnell«, sagt Frau Hasselbeck, »die Tür darf nicht zu lange offen stehen.«
    Tatsächlich spüre ich bereits den bösen Blick eines Literaturlektors auf mir, noch bevor ich den Kopf hebe und ihn tatsächlich sehe. Er ist um die fünfzig, hat graumeliertes Haar, trägt eine schlichte Brille mit silbernem Rand zum Jeanshemd und raucht einen Zigarillo, der nach Kopfschmerzen riecht.
    »Das ist ein weiterer Grund, warum die Tür geschlossen bleibt«, flüstert Frau Hasselbeck.
    Der Mann zieht, kaut einen Moment auf dem Qualm herum und lässt ihn dann durch Nase, Mund und Ohren in kleinen Ringen entweichen. »Die Frau Hasselbeck ...«, sagt er
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