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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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sind halbstaatlich, da geht so was.«
    Ich nehme mir vor, noch heute Abend bei Ulf einen Piledriver anzusetzen, sollte niemand kommen und er uns das Geld verweigern, behalte diesen Plan aber erst mal für mich.
     
    Es kommen Besucher.
    31, um genau zu sein, was Hartmuts doch nicht ganz so garantiertes Garantiehonorar von 150 Euro immerhin noch um 5 Euro an Eintrittsgeldern überträfe, stünden nicht 12 Besucher auf der Gästeliste und bekäme der Laden nicht 40 % von jedem Ticket.
    Hartmut liest eine Stunde lang und muss danach zwei weitere mühevoll über den Inhalt seines Buchs diskutieren, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Einer der Typen von der Gästeliste, der für sein Recht auf Hartmuts Lebenszeit nicht einen einzigen Cent gezahlt hat, fragt ihn, worin im »Manifest für die Unvollkommenheit« denn nun genau das Utopische stecke, das Allgemeinpolitische, das über den rein persönlichen Trotz hinausweise. Man müsse als Schriftsteller doch eine gesamtgesellschaftliche Perspektive aufmachen, denn das rein Individualistische, das könne es ja wohl auch nicht sein. Hartmut steigt in aller Seelenruhe in die Debatte ein und wirft mit Namen und Theorien um sich. Er widerspricht im Wesentlichen allem, was die Gäste behaupten, aber da er sämtliche ihrer Fachbegriffe und Schutzheiligen kennt, erwirbt er sich trotzdem ihren Respekt. Sein Stundenlohn schrumpft mit jeder weiteren Frage zusammen, und ich sehe vor meinem geistigen Auge Caterina, wie sie zu Hause vor dem Computer sitzt, um eine Bewerbungsmappe mit Arbeitsproben für eine Werbeagentur zusammenzustellen, die eine Grafikdesignerin sucht. Die Frauen suchen nach Wegen, uns zu ernähren, und wir Männer hocken im Kellerloch und diskutieren mit Theoretikern von der Gästeliste über die fehlende sozialkritische Ebene in Hartmuts »Manifest für die Unvollkommenheit«. Das läuft ganz falsch, denke ich mir, das läuft alles vollkommen falsch.
     

Die Tür zur Literatur
    Susanne hat den Job bei Taxi Warnke bekommen. Als Hausmechanikerin. Unter der Hand. Das kommt den Chef günstiger, als die Wartung der Fahrzeuge auszulagern. Währenddessen kann sie ihren Taxischein machen und später als Fahrerin einsteigen, das dann sogar in Festanstellung mit Versicherung. Man wird sehen. Sie hat den Unternehmer überzeugt, indem sie während des Bewerbungsgespräches bei einem auf den Hof fahrenden Firmenwagen durch bloßes Hinhören eine Fehljustierung an der Einspritzung diagnostizierte.
    »Was ist dagegen einzuwenden, wenn die Frau besser verdient als der Mann?«, sagt Hartmut auf dem Bahnsteig der U6.
    »Nichts ist dagegen einzuwenden, wenn die Frau mehr verdient«, beantworte ich Hartmuts Frage. »Solange das nicht heißt: Sie verdient alles, und der Mann verdient gar nichts, weil er seine Gage fast vollständig der Gegenkultur spendet.«
    »Du hast archaische Rollenbilder«, sagt Hartmut. »Du willst immer noch der Alleinernährer sein.«
    »Ich will nicht ausgehalten werden«, sage ich. »Wenn du zu lange jemanden aushältst, hältst du ihn irgendwann vielleicht nicht mehr aus.«
    Hartmut zieht die rechte Augenbraue weit nach oben, starrt auf ein Werbeposter an der Wand hinterm Gleis und sagt »Huh, huh, huh«, während sich warme Dampfwölkchen von der Oberfläche seines Kaffees lösen. »Tolles Wortspiel.«
    »Du Weihnachtsmann!«, sage ich.
    Die U-Bahn kommt, wir steigen ein. Auf den Bänken sitzen Pensionäre und Problemjugendliche. Ich lese einen über der Tür aufgeklebten Streckenplan mit dem Kopf im Nacken und zähle sieben Stationen bis zum Ziel. Unser Ziel ist ein Verlagshaus, in dem Hartmut als gelernter Germanist und Philosoph nach Arbeit fragen will. Sein Lektor hat ihm den Tipp gegeben. In seinem eigenen Verlag sei leider alles belegt, aber bei Birkenhorst lohne es sich, einmal zu fragen. Ich begleite Hartmut, weil ich mitkriegen muss, was passiert. Meine Augen und Ohren sind auf Jobsuche eingestellt und weit offen. Fiele in diesem Moment ein Ticketkontrolleur tot um, ich würde mich sofort für die Stelle bewerben. Ich will meinen Lieben was bieten und nicht bloß ausgehalten werden.
     
    Wir setzen uns in eine Viererbank. Uns gegenüber sitzen zwei slawisch wirkende junge Männer. Sie haben kantige Wangenknochen und eine glattrasierte, fast jungenhafte Haut. Ihr Blick scheint vor Enttäuschung und Lebenserfahrung trübe, doch zugleich leuchten ihre Augen. Nicht vor Lebenslust, sondern eher wie Kameralinsen, die eine hohe Auflösung haben, um
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