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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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Frank-Zappa-Bart. »So, können wir jetzt mal loslegen mit unseren Bewerbern?«, fragt er, als hätte er die ganze Zeit nur auf uns gewartet.
    Paul übergibt uns dem Boss, und wir schleichen hinter dem Mann her zum Ende des Flurs, der immer dunkler zu werden scheint. Im Augenwinkel meine ich, für den Hauch einer Sekunde einen Lichtschein aus einem Büro auf der rechten Seite entweichen zu sehen. Ich flüstere Hartmut zu: »Dem Gespräch eben konnte ich nicht folgen.«
    Hartmut sagt: »Sind nur Namen und Begriffe. Du kennst doch auch 2000 Videospiele. Das kommt mit der Zeit.«
    »Das meine ich nicht«, sage ich. »Ich meine, warum darf ich hier nicht die Hosen erwähnen, aber die Beatsteaks werden gespielt und T-Shirts von Thin Lizzy getragen? Thin Lizzy hat mein Onkel gehört, als ich klein war, in seinem blauen Ford Escort. Mein Onkel war sehr liebenswert, aber kein Insider.«
    »Es kommt auf die Zeit an«, sagt Hartmut, »manchmal sogar auf das Jahr. Auf den Monat. Auf die Umstände, den Zeitgeist. Es ist kompliziert.«
    »Und das findest du gut?«
    »Nein, aber ich will hier arbeiten. Und kein Wort mehr von den Hosen, okay?«
    Der Chefredakteur führt uns in sein Büro. In der Ecke fungiert eine kleine gelbe Postkiste als Brutkasten für einen zimmergroßen Organismus aus aufgerissenen gepolsterten Umschlägen, die sich wie Efeu an der Wand und der Decke entlangfressen. Sie haben sich mit den Klebeseiten ihrer Laschen festgekrallt.
    Der Chef sagt: »Also, wer von euch wollte in die Redaktion? Du? Okay, dann sag mir mal deine zehn Lieblingsalben aller Zeiten.«
    Hartmut stutzt: »Sie wollen nicht meinen Lebenslauf hören? Meine Qualifikationen? Meine Herkunft? Meine Erfahrungen?«
    Der Chef schüttelt sein Haupt. Dann klemmt er eine Spitze seines Zappa-Bartes in den Mundwinkel und lässt sie wieder los: »Zehn Lieblingsalben.«
    Hartmut zögert.
    »Ich kann Ihnen meine sagen«, hebe ich die Hand, aber Hartmut drückt sie schnell herunter.
    »Gut«, sagt er, und es wirkt sehr angespannt: »>Crooked Rain Crooked Rain< von Pavement -«, der Chef nickt und murmelt: »Da könnte man auch >Slanted and Entchanted< sagen, aber okay.«
    Hartmut fährt fort: »>Goo< von Sonic Youth —«, der Chef unterbricht ihn erneut: »Da war Washing Machine< aber deutlich besser!«
    Hartmut räuspert sich: »>Nevermind.<«
    Der Chef hustet: »Ganz ehrlich, bei allem Respekt, aber im Grunde hat Butch Vig das Ding zu glattgebügelt. Da hat Cobain selbst den besten Riecher gehabt, das zu bemerken. >In Utero< war da in seiner groben Enttäuschtheit die viel bessere Platte. Von >Bleach< mal abgesehen, natürlich.«
    Hartmut klatscht seine Hände auf seine Oberschenkel: »Meine Güte, ist das hier ein Test, oder was?!«
    Endlich, denke ich, endlich regt er sich auf. Wir haben doch alle darauf gewartet. Er steht auf und läuft unter der Efeupflanze aus Postumschlägen auf und ab.
    »Soll ich Ihnen mal ganz ehrlich was sagen? Das sage ich alles nur, um hier anfangen zu können! Mir sind Nirvana ziemlich gleichgültig! Immer dieses Getue von wegen Radikalität! Morton Feldman war radikal! Alban Berg! Fred Frith!«
    Der Chef weicht bei jedem dieser Namen ein Stück auf seinem Schreibtischstuhl zurück.
    »Musik ist entweder Unterhaltung, oder sie versucht, alles zu verändern. Alles! Unsere ganze Wahrnehmung! Unser komplettes Zeichensystem! Unsere Gewohnheiten!« Ich fasse Hartmut sachte am Ärmel, aber es hilft nichts. »Wenn ich hier anfangen würde, ich würde Reportagen über Stockhausen machen, über die Neue Musik als Vorläufer aller Elektronik. Wo Karlheinz schon gewütet hat, da kann Trent Reznor Kleenex kaufen gehen, aber die ganz weichen!«
    Der Chef schüttelt den zappaesken Kopf, als fände er es schon jetzt sehr schade, dass wir alle mit diesem Termin unsere Zeit verschwendet haben.
    Ich sage: »Ich bin da viel handfester, ich mag Downset, NOFX und die Toten Hosen!«
    »Um Himmels willen!«, ruft der Chef aus, obwohl man den Himmel in diesem Bunker nirgendwo sehen kann.
    In einem Regal neben dem Schreibtisch steht eine Kiste, auf der ein Zettel mit der Aufschrift »aussortiert / kommt nicht ins Heft« aufgeklebt ist. Ich werfe einen Blick hinein und nehme ungefragt eine CD heraus. »Wow«, sage ich, »es gibt immer noch Headcrash?«
    Der Chef schüttelt sich wieder, er bekommt erste Pickel.
    Hartmut schaut auch in die Kiste und findet darin ein paar brandneue Jazzplatten. »Die nehme ich an mich, bevor sie in die gelbe Tonne
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