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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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kramt in den Computerteilen herum.
    »Hey, Nick«, fragt ihn einer der Online-Redakteure, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, »wann bekommen wir endlich wieder Zugriff auf das Z:-Laufwerk?«
    Der kleine Angestellte findet, was er sucht, und sagt: »Nächste Woche.«
    »Das sagst du seit sechs Wochen.«
    »Es ist viel zu tun. Am Wochenende soll ich zum >Force Attack< fahren.«
    Paul lacht: »Zum >Force Attack    Ich erinnere mich, woher ich den Namen kenne. Ein Festival in Rostock, auf dem gesetzte Männer mit Hooligan-Appeal und drei bis sechs Zähnen auftreten. The Business, Agnostic Front, die Lokalmatadore. Alles, woran wir bei UPS immer unseren Spaß hatten.
    »Seit Asselpunk von Jim Beam präsentiert wird, machen wir das wohl, ja«, sagt der kleine Angestellte, und alle lachen. »Es sei denn, wir wollen keine Werbung auf der U4 mehr von denen.« Er klopft auf die Rückseite eines Heftes.
    Paul schaut uns an: »So, nachdem ihr das gehört habt, können wir euch nicht mehr lebendig hier rauslassen.«
    Ich überlege einen Moment, ob das ernst gemeint sein könnte. Die Beatsteaks singen: »I don't care as long as you sing/and I don't care as long as you sing!«
    »Aber im Ernst«, sagt Paul, »so was darfst du den Jungs oben gar nicht sagen.«
    »Den Jungs oben?.«
    »Die Printredaktion. Die leiden unter solchen Dingen wie die Hunde. Würdest du doch auch, oder?«, fragt Paul Hartmut, und der nickt in seiner Jacke von Sub Pop. Paul zieht ein Hustenbonbon aus seiner Tasche und schiebt es sich in den Mund: »Drei, vier Themen müssen wir ihnen immer von hier unten aus ins Heft drücken. Hilft nix. Tut uns selber weh. Ist alles Schrott. Gibt Diskussionen. Aber das ist gut so. Es ist der Job der Redakteure, Bauchschmerzen zu bekommen. Sie sind unser Gewissen.«
    Ich bin gespannt, wie es da oben gleich aussehen wird. Oben, wo Hartmut arbeiten und schreiben will. Wo es zum Job gehört, bei gewissen Themen Bauchschmerzen zu bekommen. Ich erinnere mich daran, wie Hartmut und ich in der Bochumer WG im Badezimmer immer über Musik diskutiert haben. Hartmut ist gut darin, Bauchschmerzen zu bekommen. Hartmut hat das Magazin, das hier im Bunker gemacht wird, immer gelesen. Und zehn andere. Hartmut liest alles. Er liest, wie andere atmen.
     
    Wir klettern ins oberste Geschoss. Ich werde langsam depressiv. Ich brauche Tageslicht. Ich fühle mich eingesperrt. Mein Mobiltelefon hat keinen Empfang.
    Im Obergeschoss hat jeder Redakteur sein eigenes Büro. Es stehen Namen an den Türen, und aus jeder erklingt eine andere Musik. Auf dem Flur ist es ein einziges Durcheinander. 70er-Rock, elektronische Musik, hektischer britischer Wave, komplizierter Hardcore, dunkler Triphop wie gluckernder Sirup. Paul geht in das Büro, aus dem der 70er-Rock erklingt, und stützt die Handflächen auf den Schreibtisch eines Redakteurs. Der Redakteur ist lang wie eine Pappel und trägt einen wuschigen, bis zum Kinn reichenden Backenbart, gegen den Hartmuts Koteletten sich harmlos ausnehmen. Auf seinem Schreibtisch liegt eine Schreibunterlage mit dem Logo des Magazins völlig unbeschrieben exakt an der Kante der Tischplatte, daneben stehen ein paar fast leere Ablagefächer und davor sieben präzise aufgeschichtete CD-Stapel. Er nimmt von einem Stapel eine CD, legt sie ein, saugt einen Song in sein iTunes-Programm, schiebt ihn in einen Ordner und legt die CD zurück. Er macht das alles mit spitzen Fingern wie Graf Zahl und mit Eifer in den Augen. Er trägt ein enganliegendes Thin-Lizzy-T-Shirt.
    »Die Joy-Division-History muss dringend redigiert werden«, sagt Paul, doch der Redakteuer winkt ab.
    »Ich hab zu tun!«
    »Du kompilierst. Den ganzen Tag kompilierst du!«
    »Fürs Heft. Für das Rock'n'Sludge-Special. Das ist Aufwand! Treib diese ganzen Platten mal auf!«
    Er fischt eine neue CD vom Stapel, saugt einen Song auf die Festplatte und redet dabei weiter: »Spod. Als würden Devo und AIR gemeinsam Wolfmother covern. Oder hier: Earthless. Ein Drummer wie John Bonham, eine Produktion wie frühe Tad, ein 20-Minuten-Stück, das nach zehn in sich zusammenfällt wie Obstkuchen. Man weißt nicht - ist es Doom auf Acid, ist es Drone, das sich plötzlich in Songwriting versucht? Mario Rubalcaba trommelt bei denen. Und wie der trommelt.«
    »Mach, was der Paul sagt!«, ertönt es aus der Tür. In ihr steht der Chefredakteur, ein Riese mit langen blonden Haaren. Er trägt eine Brille und einen
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