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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone
Autoren: Anne Perry
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ihm zu grollen.
    Bis Kingston saßen sie schweigend beieinander im Abteil. Das Fahrgeräusch des Zuges hätte eine Unterhaltung ohnehin schwierig gemacht, und keinem von beiden stand der Sinn danach, über das Geschehene zu sprechen oder über das, was ihnen noch bevorstand.
    Vom Bahnhof in Kingston fuhren sie mit einer Droschke zum Leichenschauhaus, wo die Obduktion stattgefunden hatte. Narraways Rang sorgte dafür, dass sich ein außerordentlich mürrisch wirkender Arzt sofort um die Besucher kümmerte. Er war ein hoch gewachsener Mann mit Stirnglatze und stumpfer Nase. In jungen Jahren mochte er gut ausgesehen haben, doch jetzt wirkten seine Züge grobschlächtig. Er betrachtete die beiden vor Schmutz starrenden Männer mit ihren Abschürfungen äußerst angewidert.
    Ungerührt hielt Narraway seinem Blick stand.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was der Sicherheitsdienst mit dem Tod eines so herausragenden, aber unglücklichen alten Mannes zu tun hat«, begann der Arzt schroff. »Nur gut, dass er lediglich Freunde und Bekannte, aber keinerlei Verwandte hat, denn die würde das schrecklich mitnehmen.« Er wies mit einer Hand auf den Raum hinter sich, in dem vermutlich Obduktionen durchgeführt wurden.
    »Zum Glück spielen Ihre persönlichen Vorstellungen hier keine Rolle«, gab Narraway gelassen zurück. »Wir haben uns ausschließlich wegen Ihrer forensischen Fähigkeiten an Sie gewandt. Was war Ihrer Ansicht nach die Ursache von Mister Wrays Tod?«
    »Hier geht es nicht um Ansichten, sondern um Fakten«, blaffte ihn der Arzt an. »Er ist an einer Digitalis-Vergiftung
gestorben. Eine geringe Dosis des Giftes hätte seinen Puls verlangsamt; die ihm verabreichte war aber so groß, dass es zum Herzstillstand kam.«
    »In welcher Form hat man es ihm gegeben?«, erkundigte sich Pitt. Er spürte, wie sein Herz förmlich raste, während er auf die Antwort wartete. Er war nicht sicher, ob er sie gern hören würde.
    »In Pulverform«, sagte der Arzt, ohne zu zögern. »Wahrscheinlich hat man Tabletten zerstampft und in eine Himbeerkonfitüre gemischt, die mit größter Wahrscheinlichkeit als Füllung für Marmeladentörtchen gedient hat. Er hat sie kurz vor seinem Tode gegessen.«
    Pitt fuhr zusammen. »Wie bitte?«
    Der Arzt sah ihn mit zunehmender Verärgerung an. »Muss ich für Sie alles noch einmal wiederholen?«
    »Wenn es wichtig genug ist, ja!«, sagte Narraway und wandte sich an Pitt. »Was stört Sie an der Himbeerkonfitüre?«
    »Er hatte keine«, sagte Pitt. »Er hat sich deswegen ausdrücklich entschuldigt. Er hat gesagt, dass es seine Lieblingskonfitüre sei und er sie aufgegessen habe.«
    »Ich werde ja wohl noch wissen, was Himbeerkonfitüre ist!«, sagte der Arzt aufgebracht. »Sie war kaum verdaut. Der arme Mann ist in kürzester Zeit nach dem Verzehr gestorben. Auch befand sie sich zweifelsfrei in einem Teigmantel. Sie müssten mir schon ganz ungewöhnliche Beweise liefern – und ich kann mir nicht vorstellen, wie die aussehen sollen –, damit ich von meiner festen Überzeugung abrücke, dass er mit Marmeladentörtchen und einem Glas Milch zu Bett gegangen ist. Das Gift befand sich in der Konfitüre, nicht in der Milch.« Er sah Pitt vernichtend an. »Ohnehin kann ich nicht verstehen, inwieweit das für den Sicherheitsdienst von Bedeutung ist. Ehrlich gesagt denke ich, dass die Sache Sie nicht einmal von ferne etwas angeht.«
    »Ich möchte einen schriftlichen Bericht«, sagte Narraway. Er sah zu Pitt hinüber, und dieser nickte. »Zeit und Ursache des Todes und den klaren Hinweis darauf, dass das Gift, das ihn getötet hat, in Himbeerkonfitüre enthalten war, die als Füllung für ein Törtchen gedient hat. Ich warte darauf.«
    Vor sich hinbrummelnd ging der Arzt hinaus und ließ Pitt und Narraway allein zurück.
    »Nun?«, fragte Narraway, als der Arzt außer Hörweite war.
    »Er hatte keine Himbeerkonfitüre«, beharrte Pitt. »Allerdings ist Octavia Cavendish mit einem Korb voll Esswaren gekommen, als ich ging. Wahrscheinlich enthielt der Törtchen mit einer Füllung aus Himbeerkonfitüre!« Er versuchte, die in ihm aufflammende Hoffnung zu unterdrücken. Dazu war es zu früh. Noch lastete die Aussicht auf eine Niederlage drückend auf ihm. »Fragen Sie Mary Ann. Sie wird wissen, was sie ausgepackt und ihm hingestellt hat. Außerdem wird sie Ihnen sagen, dass es vorher im Hause keine Marmeladentörtchen mit Himbeerfüllung gab.«
    »Das tue ich auf jeden Fall«, sagte Narraway mit Nachdruck.
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