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Feind

Feind

Titel: Feind
Autoren: Robert Corvus
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den leeren Teller auf den Boden und nahm das
Mondsilberschwert aus der Halterung neben der Wand, um es in die Hände zu
geben, deren Fingerglieder noch immer beängstigend geschwollen waren. Im
letzten Jahr hatte der Frühling sein heilendes Werk schneller vollbracht, aber
jetzt wollten die Schwellungen nicht weichen.
    In diesem Raum gab es viele Klingen, aber wenn der Meister von seinem Schwert sprach, dann meinte er dasjenige, das der
Ordensmarschall ihm zu Eigen gegeben hatte, um damit der Finsternis Einhalt zu
gebieten. Ein Auftrag, bei dem Treaton, wie er selbst urteilte, schmählich
versagt hatte. Überhaupt stand es schlecht um den Freiheitskampf der Menschen.
Die Schattenherren hatten ihre Finsternis inzwischen über beinahe alle
Silberminen gelegt. Ohne Silber konnte man keine Rüstungen mehr schmieden, die
ihrer dunklen Kunst standzuhalten, keine Klingen, die ihnen dauerhafte Wunden
zu schlagen vermochten.
    Treaton legte das Schwert so auf seinen Leib, dass der Knauf mit dem
Rubin an seiner Kehle ruhte. »Meine Stunde ist gekommen«, sagte er mit einer
Stimme so fest, wie sie seit einer Woche nicht mehr gewesen war.
    Helion wusste nicht, was er erwidern sollte. Der Meister war auch im
letzten Winter krank gewesen, aber damals hatte er sich mit dem Frühling
erholt. Diesmal war er beständig schwächer geworden.
    »Ich gehe ins Nebelland«, fuhr er fort. »Ich kann nur auf die Gnade
der Mondmutter hoffen, dass sie mir ein Licht schickt, das mich
hindurchgeleitet.« Der alte Mann wandte den Kopf, sodass er Helion ansehen
konnte, der sich vor das Bett kniete. »Du weißt, ich habe versagt, damals. Aber
ich habe auch etwas sehr Gutes geschaffen. Dich. Du warst ungeschmiedetes
Silber, als du zu mir kamst. Jetzt bist du eine der schärfsten Klingen, die
zwischen den Menschen und den Schatten stehen.«
    »Ich habe nie gegen die Finsternis gefochten, so wie Ihr es getan
habt.« Die wenigen echten Kämpfe, die er geschlagen hatte, hatten keinem
edleren Ziel gegolten als dem Herzen einer Dame. Meist waren sie aus eitlem
Streit entbrannt. Regungen, die er überwunden zu haben hoffte.
    »Das wirst du.« Die Festigkeit in Treatons Stimme schwand. »Geh zu
den Mondschwertern.«
    »Der Orden ist nicht mehr, was er war«, wandte Helion ein. »Das habt
Ihr selbst mich gelehrt. Er kann nicht mehr so viele Paladine aufbieten wie zu
Eurer Zeit, und unter den wenigen finden sich mehr Zauderer, als die Ehre
dulden kann. Jetzt, da beinahe alle Silberminen verloren sind, wollen sie
verhandeln. Mit den Schatten! Auch wenn sie es nicht zugeben.«
    »Das stimmt.«
    »Ich brauche sie nicht, um gegen die Schatten zu kämpfen!« Zu spät
bemerkte er, dass er seinen Meister angeschrien hatte. Erschrocken setzte er
sich auf die Fersen. Gefühlsausbrüche waren gefährlich, und sie waren seine
große Schwäche. Sie waren der Weg, auf dem die Dummheit in den Kopf schlich.
Und wenn man einem Osadro gegenüberstand, gaben sie dem Feind Stärke. Helion
absolvierte eine der kurzen Atemübungen, die Treaton ihn zur Erforschung des
Selbst gelehrt hatte. Woher war diese Aufwallung gekommen?
    Angst.
    Er dachte an seine früheste Erinnerung. An den Osadro, der im
Sternenlicht durch die schwelenden Trümmer von Helions Dorf geschritten war.
Dessen Gardisten nicht geduldet hatten, dass sich jemand von den Knien erhoben
hätte, solange der Unsterbliche unter ihnen geweilt hatte. Erst Stunden später
hatte Helion seine verbluteten Eltern gefunden.
    Aber es war nicht die Angst vor den Schattenherren, die ihn
überwältigt hatte.
    Es war die Angst, dass er niemals würde gegen sie kämpfen können.
    Er wusste, dass sie mächtige Gegner waren. Dutzende, wenn nicht
Hunderte gefallene Mondschwerter kamen auf einen Osadro, dessen Schatten für
immer verblich. Er hatte sich oft mit dem Gedanken befasst, dass er sterben
könnte, ohne die fahle Haut eines Unsterblichen auch nur geritzt zu haben. Die
Vorstellung barg keine Furcht mehr für ihn, solange er es wenigstens versuchen
konnte.
    Aber wenn er zu den Mondschwertern ginge, dann wäre er Teil ihrer
Hierarchie. Er würde dem Ordensmarschall Gehorsam schwören müssen, und wenn
dessen Offiziere ihm Befehle erteilten, die ihn von der Front fernhielten, wenn
sie ihn etwa als Ehrenwache des Tempels der Mondmutter bestimmten, dann würde
er nie auch nur die Gelegenheit erhalten, Gerechtigkeit für die Eltern zu
fordern, an die er sich nur als Leichen erinnerte. Das war der Gedanke, vor dem
er
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