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Feenkind

Feenkind

Titel: Feenkind
Autoren: E Zeißler
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Sylvia strahlte sie an und Dhalia konnte sich ihrer guten Laune einfach nicht entziehen. Dankbar lächelte sie zurück, während sie die Tunika entgegennahm, die Sylvia ihr reichte. Geduldig wartete sie, bis das Kammermädchen ihr das Haar gekämmt hatte, so dass es in sanften Locken auf ihre Schultern und ihren Rücken fiel und sich golden vom Himmelblau ihrer Kleidung abhob. Dann erhob sie sich und ging zur Tür. Doch an der Schwelle blieb sie zögernd stehen. Irgendwie widerstrebte es ihr, die schützenden Mauern des Zimmers zu verlassen, in dem sie ihre Kindheit verbrachte hatte. Sie wusste nicht, was sie unten erwartete, doch sie war sicher, dass es ihr Leben verändern würde.

Als sie in die Halle kam, blickten ihre Eltern sie erwartungsvoll an. Sie konnte nur mit den Achseln zucken und hilflos lächeln. Noch war nichts passiert.
Es wurde ein sehr eigenartiger Geburtstag für Dhalia. Da weder sie noch ihre Eltern wussten, was sich alles an diesem Tag ereignen könnte, wurde keine Feier veranstaltet. Der ganze Tag verlief in einem Gefühl gespannter Erwartung und sich steigernder Nervosität. Alle drei waren bemüht, das Thema der Prophezeiung nicht zu berühren, obwohl ihre Gedanken nur darum kreisten.
Dhalia war ruhelos. Sie konnte sich mit nichts beschäftigen und selbst ein Gespräch mit ihren Eltern kam nur schleppend zustande. Als gegen Mittag noch immer keine Zeichen erschienen waren, fühlte sie sich, als hätte sie versagt. Als ob es irgendwie ihre Schuld war, dass sie keine Eingebung bekam oder auf einmal Wunder wirken konnte. Ihre Unruhe weitete sich auch auf ihre Eltern aus, doch sie unterdrückten sie um Dhalias Willen und ermahnten sie, sich in Geduld zu üben.
"Es ist noch früh am Tag, Dhalia. Du darfst dich nicht unter Druck setzen. Was geschehen soll, wird geschehen. Wir können das genauso wenig beschleunigen, wie wir es aufhalten könnten. Hier sind höhere Mächte am Werk", versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen.
"Vielleicht kann der Spiegel uns doch mehr dazu sagen." Zum wiederholten Male nahm Dhalia ihr Amulett vom Hals und blickte angestrengt hinein. "Wenn ich nur wüsste, wie er funktioniert", murmelte sie ratlos.
Aufmunternd streichelte ihre Mutter ihr über den Rücken. "Wir lassen dich jetzt ein wenig allein. Vielleicht gelingt es dir ja tatsächlich, den Spiegel zum Reden zu bringen."
"Ja, vielleicht habe ich diesmal mehr Erfolg", meinte Dhalia alles andere als überzeugt. Das kleine Blatt so fest in der Hand umklammert, dass es fast schmerzte - sie hatte schon vor langer Zeit die Angst verloren, sie könnte den Spiegel beschädigen - flüchtete sie in den Garten, wo sie im Schatten einer Eiche mit angewinkelten Knien zwischen den Wurzeln Platz nahm. Gedankenverloren streichelte sie über das kühle Moos, das die Wurzeln des Baumes bedeckte. Während sie jede Unebenheit mit ihren Fingerspitzen ertastete, wurde ihr bewusst, dass dieser Ort für sie schon immer etwas Magisches an sich gehabt hatte. Ein uralter Baum, knorrige, fast verwunschen wirkende Wurzeln und ein kleines Baumloch, in dem sie früher ihre Schätze versteckt hatte.
Sie sah nun, wie ein letzter Tropfen des Morgentaus wie ein Juwel in einem Spinnennetz glitzerte, als die leichte Brise das zarte Gebilde einem stetigen Wechsel von Licht und Schatten unterwarf. Genauso ein Sonnenstrahl wie der, der jetzt in dem kleinen Wassertropfen funkelte, muss damals das Spiegelblatt zum Sprechen gebracht haben. Wenn es einen Ort oder einen Zeitpunkt gab, an dem sich dieses Wunder wiederholen konnte, dann war es bestimmt hier und jetzt.
Sie ließ sich von der Ruhe und der Kraft, die dieser Ort auszustrahlen schien, durchdringen und nahm das Spiegelblatt in beide Hände. Langsam, aber entschlossen senkte Dhalia ihren Blick und schaute ganz tief hinein. Sie war überzeugt, dass es ihr jetzt gelingen würde, und entschlossen, den Ort nicht eher zu verlassen, bis sie einige Antworten gefunden hatte auf die vielen Fragen, die sie schon seit Jahren quälten.

Der Nachmittag war bereits sehr stark fortgeschritten, als Dhalia zu ihren Eltern zurückkehrte. Sie wusste nicht genau, wie lange sie versunken in das Spiegelblatt gestarrt hatte, als könnte sie es allein mit ihrem Willen dazu bringen, etwas zu tun. Es dazu zu bringen, etwas von sich zu geben - ein Bild, einen Ton. Von ihr aus hätte es sich auch in Luft auflösen können, auch das wäre ein Zeichen, ein Anhaltspunkt für sie gewesen. Nun aber kehrte sie mit nichts zu ihren Eltern
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