Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht
Autoren: Judith McNaugth
Vom Netzwerk:
preßte ihre Stoffpuppe noch fester an sich, als gäbe ihr das den Mut zum Weitersprechen. Dann hob sie ihre Augen zu Sloan und platzte heraus: »Meine Lehrerin sagt, daß du dein Leben riskiert hast, um den kleinen Jungen aus dem Brunnen zu retten.«
    »Deine Lehrerin ist sehr nett«, erwiderte Sloan, während sie die Drachenschnur vom Gras aufhob und sie um ihre Finger zu spulen begann. Auch Emmas Mutter war eine Schulfreundin von Sloan gewesen, und während sie ihren Blick zwischen Kenny und Emma hin und her wandern ließ, konnte sie sich nicht entscheiden, welches der beiden Kinder hübscher war. Sie war mit den meisten Eltern der Kinder aufgewachsen und entdeckte nun in vielen der ihr erwartungsvoll zugewandten Gesichter erstaunliche Ähnlichkeiten mit früheren Schulkameraden.
    Die Tatsache, daß sie vom Nachwuchs ihrer Altersgenossen umringt war, versetzte ihr plötzlich einen Stich, der sie an ihre Sehnsucht nach einem eigenen Kind erinnerte. Im letzten Jahr war ihr Wunsch nach einem kleinen Jungen oder Mädchen, das sie lieben, umhegen und dem sie etwas beibringen konnte, immer stärker und schließlich zum drängenden Bedürfnis geworden. Auch sie wollte eine kleine Emma oder einen kleinen Kenny haben. Leider war aber der Wunsch, ihr unabhängiges Leben für einen Ehemann aufzugeben, nicht damit einhergegangen. Im Gegenteil.
    Während die anderen Kinder Sloan bewundernd anstaunten, blieb Butch Ingersoll immer noch unbeeindruckt. Sein Vater und sein Großvater waren in ihrer Schulzeit Football-Stars gewesen. Mit seinen sechs Jahren hatte Butch von ihnen nicht nur den stämmigen Körperbau und das kantige Kinn geerbt, sondern er legte schon jetzt dasselbe großspurige Gehabe an den Tag. Sein Großvater war Polizeichef und Sloans Boß. Als Butch nun das Kinn vorstreckte, mußte Sloan daher unwillkürlich an ihren Vorgesetzten denken. »Mein Großvater sagt, daß jeder Cop das kleine Kind retten hätte können, genau wie du. Die Leute vom Fernsehen haben nur so eine große Sache daraus gemacht, weil du ein Mädchen bist.«
    Eine Woche zuvor hatte Sloan einen Notruf wegen eines vermißten Kindes erhalten und schließlich in einen Brunnen hinuntersteigen müssen, um das Kind hochzuholen. Zunächst hatten nur die lokalen Fernsehsender darüber berichtet, aber dann war die Nachricht von der Rettung des Jungen in ganz Florida verbreitet worden. Schon drei Stunden nachdem sie in den Brunnen hinuntergeklettert war und dort die entsetzlichsten Augenblicke ihres Lebens verbracht hatte, war Sloan zur Heldin proklamiert worden. Als sie völlig verdreckt und erschöpft wieder an die Oberfläche kam, wurde sie nicht nur von den Jubelrufen der Bürger von Bell Harbor begrüßt, die sich versammelt hatten, um für die Rettung des Kindes zu beten, sondern auch von dem Geschrei der Fernsehreporter, die nichts anderes im Schilde führten, als mit der neuen Sensationsnachricht ihre Einschaltquoten in die Höhe zu treiben.
    Nach einer Woche begann langsam wieder Gras über ihre plötzliche Berühmtheit zu wachsen, aber für Sloans Geschmack war der Wirbel um ihre Person immer noch zu groß. Sie fand ihre Rolle als Medienstar und Kleinstadtheldin nicht nur unangebracht, sondern tief verstörend. Auf der einen Seite sah sie sich mit den Bewohnern von Bell Harbor konfrontiert, die sie als Heldin und sogar als Rollenvorbild für andere Frauen feierten. Auf der anderen Seite hatte sie mit Captain Ingersoll - Butchs fünfundfünfzigjährigem Großvater - zu kämpfen, der Sloans unfreiwillige Heldentat als »Effekthascherei« bezeichnete. Da er der Prototyp eines Macho war, stellte für ihn allein schon die Tatsache, eine weibliche Kollegin zu haben, einen Affront gegen seine Manneswürde und Autorität dar. Im Grunde wartete er nur auf eine passende Gelegenheit, um sie loszuwerden.
    Sloan hatte gerade die Drachenschnur fertig aufgewickelt und sie Kenny mit einem Lächeln überreicht, als ihre beste Freundin, Sara Gibbon, auf sie zugesteuert kam.
    »Ich habe ein großes Geschrei aus dieser Richtung gehört«, erklärte Sara, während sie ihren Blick von Sloan zu den Kindern und schließlich zu dem Drachen mit seinem kaputten Flügel wandern ließ. »Was ist denn mit deinem Drachen passiert, Kenny?« fragte sie und schenkte dem Jungen ein Lächeln, das ihn erstrahlen ließ. Sara hatte diese Wirkung auf Männer aller Altersgruppen. Mit ihren kurzen roten Haaren, ihren leuchtenden grünen Augen und ihren feinen Gesichtszügen konnte Sara
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher