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Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht
Autoren: Judith McNaugth
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gesunde Frische und fast spröde Reinheit aus, die ihr eine ganz erstaunliche Attraktivität verliehen.
    Anläßlich des Geschreis von ein paar Kindern, die in seiner Nähe Baseball spielten, blickten zwei der älteren Jungen kurz zu ihm herüber, und er hob schnell seinen Papierbecher mit Orangenlimonade zum Mund, um sein Gesicht zu verbergen. Auch dies tat er aber eher aus alter Gewohnheit: Sie hatte ihn in den vergangenen drei Tagen, in denen er ihr auf Schritt und Tritt gefolgt war, nicht bemerkt; und selbst wenn sie ihn jetzt gesehen hätte, würde sie sicherlich nichts Sonderbares an einem Mann finden, der wie andere brave Bürger auch einen freien Tag im Park verbrachte. Tatsächlich, dachte er mit einem heimlichen Grinsen, war sie in ihrer Freizeit unglaublich unvorsichtig. Sie hatte sich nicht umgedreht, als sie eines Nachts seine Schritte hinter sich gehört hatte, und normalerweise schloß sie nicht einmal ihren Wagen ab, wenn sie ihn irgendwo parkte. Wie die meisten Kleinstadtpolizisten empfand sie in ihrer Heimatstadt ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, geradezu der Unverwundbarkeit, die nicht nur durch ihre Polizeimarke und ihre Dienstwaffe zu erklären war, sondern auch durch die Tatsache, daß sie in die intimsten Geheimnisse ihrer Mitmenschen eingeweiht war.
    So konnte es geschehen, daß sie ihn ahnungslos ihre eigenen Geheimnisse entdecken ließ. In weniger als zweiundsiebzig Stunden hatte er alle ihre wichtigsten Daten - Alter, Größe, Registriernummer ihres Führerscheins, Kontostand, Jahreseinkommen, Privatadresse - herausgefunden, alle Informationen, die man über das Internet problemlos bekommen konnte, wenn man nur wußte, wie man zu suchen hatte. In seiner Tasche trug er sogar ein Foto von ihr mit sich. Doch all diese Standardauskünfte reichten nicht aus, um einen Menschen einschätzen zu können; was er durch seine eigenen Beobachtungen über sie erfahren hatte, war daher für seine Zwecke viel wertvoller.
    Er nahm noch einen Schluck von seiner inzwischen lauwarmen Limonade und versuchte, seine wiederaufkeimende Ungeduld zu zügeln. Manchmal war Sloan so direkt, so geradeaus und vorhersehbar, daß es ihn amüsierte; doch manchmal war sie auch unerwartet impulsiv und spontan, und diese Unberechenbarkeit stellte für ihn ein gefährliches Risiko dar. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter auf der Lauer zu liegen und zu warten. In den vergangenen drei Tagen hatte er alle Geheimnisse zusammengetragen, die normalerweise das Gesamtbild eines Menschen ergeben, aber in Sloan Reynolds’ Fall war das Bild immer noch verschwommen, komplex, verwirrend.
    Sloan hielt den Drachen fest in ihrer linken Faust, während sie sich langsam zu den unteren Ästen vorarbeitete. Dann sprang sie auf den Boden und präsentierte den Drachen unter dem Jauchzen und Klatschen der Kinder seinem stolzen Besitzer. »Oh, vielen Dank, Sloan!« stammelte Kenny Landry und lief vor Bewunderung und Verlegenheit rot an, als er seinen Drachen in Empfang nahm. Da ihm zwei Vorderzähne fehlten, lispelte Kenny etwas, was ihn in Sloans Augen - die ihn gut kannte, weil sie mit seiner Mutter in die High School gegangen war - noch liebenswerter machte. »Meine Mama hatte schon befürchtet, daß du dich verletzen könntest, aber ich wette, daß du vor gar nichts Angst hast.«
    Tatsächlich hatte Sloan bei ihrem Kletterakt große Angst gehabt, daß die verzweigten Äste die Hosenbeine ihrer Shorts hochschieben und mehr von ihren Beinen entblößen würden, als ihr lieb war.
    »Jeder hat vor irgendwas Angst«, erwiderte Sloan und unterdrückte den spontanen Wunsch, Kenny in den Arm zu nehmen und ihn durch dieses Zeichen der Zuneigung vor seinen Freunden in Verlegenheit zu bringen. So zerzauste sie ihm statt dessen das sandbraune Haar.
    »Ich bin einmal von einem Baum gefallen!« gestand ein kleines Mädchen in pinkfarbenen Shorts und einem pink-weißen T-Shirt, das Sloan mit großen Augen anstaunte. »Dabei habe ich mir am Ellbogen weh getan«, fügte Emma schüchtern hinzu. Sie hatte kurzgeschnittenes, lockiges rotes Haar und unendlich viele Sommersprossen auf der kleinen Nase, und in ihren Armen hielt sie eine Stoffpuppe fest an sich gedrückt.
    Butch Ingersoll war das einzige Kind, das sich weigerte, von Sloans Rettungsaktion beeindruckt zu sein. »Mädchen sollten besser mit Puppen spielen«, tat er Emma kund. »Nur Jungen klettern auf Bäume.«
    »Meine Lehrerin sagt, daß Sloan eine echte Heldin ist«, erklärte Emma und
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