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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld
Autoren: Gisa Klönne
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seinem Glasterrarium blinzelt. Aus dem Pappkarton mit seinem Futter – lebenden Heuschrecken – glaubt Ruth auf einmal das leise Rascheln und Schaben zu hören, mit dem die todgeweihten Insekten ihre Leiber übereinanderschieben.
    »Ich koche jetzt Kaffee.« Ruth flieht in die Küche, presst dort die Stirn an die Kühlschranktür und kämpft mit den Tränen. Sie hatte sich so sehr eine Tochter gewünscht, sie hat Beatrice vom ersten Tag an so sehr geliebt und sich an ihr erfreut, selbst als Stefan sie verließ, hatte sie noch geglaubt, nichts könne die Innigkeit zwischen ihr und ihrer Tochter zerstören. Gib sie nicht auf, das ist nur eine Phase! Ruth reißt sich zusammen, räumt die Einkäufe weg und befüllt die Kaffeemaschine. Noch immer hört sie das Rascheln der Heuschrecken. Gib deine Tochter nicht auf. Denk nicht dran, dass sie, die vor lauter Weichherzigkeit jahrelang nicht einmal zulassen wollte, dass du eine Fliege erschlägst, nun seelenruhig lebende Insekten an ihr Chamäleon verfüttert. Ruth schaltet die Radionachrichten ein, trägt den Ledermantel ihrer Tochter zur Garderobe und hängt ihn auf einen Bügel.
    »… an der Kirche Sankt Pantaleon ist in der vergangenen Nacht ein Mann in Priesterkleidung ermordet worden. Das Opfer ist noch nicht identifiziert. Zeugen werden gebeten …« Der Rest wird vom Blubbern der Kaffeemaschine übertönt.
    Ein ermordeter Priester? Hier ganz in der Nähe? Ruth hastet zurück in die Küche, doch aus dem Radio tönt nun die Wettervorhersage und als Nächstes verliest der Moderator mit munterer Stimme die Staumeldungen, ganz so, als ob alles in Ordnung wäre. Und vielleicht ist es das ja wirklich, vielleicht hat sie sich verhört, es kann doch nicht sein, dass jemand einen Priester umbringt, und schon gar nicht hier in Köln und dann auch noch vor Sankt Pantaleon. Doch ihre Ohren sind gut, geschult, sie hat sich nicht verhört. Vielleicht ist es eine Fehlmeldung, ein Irrtum, überlegt sie, während sie einen Becher mit Kaffee hinüber zu ihrer Tochter balanciert. Wenn Beatrice sofort aufsteht, können sie wenigstens noch zusammen zu Mittag essen, das Hühnerfrikassee, das Ruth am Vorabend gekocht hat, zart und mager und fein gewürzt. In knapp einer Stunde muss sie schon zu ihrer Schwester fahren.
    »Kaffee, Bea, komm, aufstehen!« Es ist nicht leicht, einen Platz auf der schwarz lackierten Holzkiste zu finden, die ihrer Tochter als Nachttisch dient. Ruth setzt den mehrarmigen Kerzenleuchter auf den Boden, platziert den Porzellanbecher an seine Stelle. Der Kaffee duftet verführerisch. Auf einmal merkt sie, wie müde sie ist. Den ganzen Morgen hat sie im Arbeitsamt zugebracht. Aber es gibt keine Hoffnung auf eine feste Stelle für sie, immer noch nicht, trotz all der Weiterbildungen, die sie im letzten Jahr absolviert hat. Trotz ihrer in der Telefonseelsorge ehrenamtlich erworbenen Qualifikationen in Gesprächsführung und Psychologie.
    »Komm schon, Beatrice, gleich gibt's Essen. Hühnerfrikassee, das magst du doch gern!«
    »Bat!« Der Deckenberg bewegt sich endlich, eines der Kissen fliegt aus dem Bett, haarscharf am Kaffeebecher vorbei. »Du sollst mich Bat nennen. Das hab ich dir schon tausendmal gesagt!«
    »Bat«, wiederholt Ruth gehorsam, auch wenn sie beim besten Willen nicht verstehen kann, warum ihre Tochter wie eine Fledermaus heißen will. Wie kann es sein, dass sie mir so fremd geworden ist, fragt sie sich einmal mehr, während sich Beatrice nun wenigstens in eine halbwegs sitzende Position manövriert. Sie sieht fürchterlich aus. Die schwarze Schminke ist verschmiert, die Haut aschfahl, so dass die zahlreichen Piercings in Gesicht und Ohren noch brutaler wirken. Feindselig starrt sie ihre Mutter an.
    »Mach das Fenster wieder zu, Penti friert sonst.«
    Penti – Penthesilea, das unselige Chamäleon. Das teuerste Geschenk, das Stefan seiner Tochter seit der Trennung von Ruth je gemacht hat. Warum musste es ausgerechnet so ein schuppiges Urvieh sein? Es ist ein Geschöpf Gottes und Beatrice hat es sich gewünscht, beschwichtigt Ruth sich stumm. Es gibt ihr Halt, einen Grund, einigermaßen regelmäßig heimzukommen, jetzt, wo sie achtzehn ist und ich ihr nichts mehr vorschreiben kann. Sie kommt wegen ihres Chamäleons, wenn schon nicht mehr wegen mir, weil sie genau weiß, dass ich es nicht fertigbringe, das Tier zu füttern.
    »Fenster zu!« Ihre Tochter hat definitiv eine Fahne. Sie schiebt sich eine steife violette Haarsträhne aus dem Gesicht,
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