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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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Leibwächter) wurde gar hingerichtet. Aufgrund umfangreicher, grenzüberschreitender Ermittlungen entdeckte man in der Folge noch eine Vielzahl weiterer honorabler Persönlichkeiten, die früher eine Asternatsschule besucht hatten. Etliche von ihnen machten überhaupt keinen Hehl daraus, waren stolz auf die dort genossene Erziehung. Gut, es gab auch »Kinder der Lady Aster«, die lieber untertauchten, um den Argusaugen von Polizei und Geheimdiensten zu entfliehen, die meisten jedoch blieben, denn ihnen war nichts anzulasten. Dennoch war ihnen der Zugang zu höheren Staatsämtern von nun an verwehrt – wie in feudalen Zeiten begann man auf Herkunft und Stammbaum wieder peinlich genau achtzugeben, damit bloß kein »Findelkind« (so der Terminus, den man in kompetenten Kreisen für Lady Asters Zöglinge pflegte) die Karriereleiter emporgekrochen kam. Im übrigen verhinderten sorgfältige, zwischen den einzelnen Regierungen abgestimmte Maßregeln der Diskretion und Konspiration, daß die Öffentlichkeit von den Säuberungen erfuhr. Eine Zeitlang hielten sich Gerüchte über eine Weltverschwörung von Freimaurern oder Juden beziehungsweise beiden zusammen, es fiel der Name Disraeli, doch bald wurde es darum wieder still, zumal auf dem Balkan jene ernsthafte Krise heranreifte, die zu Erschütterungen in ganz Europa führen sollte.
    Die Dienstpflichten zwangen Fandorin, an den Ermittlungen in der Sache Asasel teilzuhaben – wobei er jedoch so wenig Eifer an den Tag legte, daß es General Misinow für geraten hielt, den jungen, fähigen Mitarbeiter mit anderen Aufgaben zu betrauen, die Fandorin um so bereitwilliger erfüllte. Dennoch war ihm bewußt, daß sein Gewissen in dieserAngelegenheit nicht ganz rein und seine Rolle einigermaßen zwiespältig war. Der Schwur, den er vor der Baronesse geleistet und zu brechen nicht umhin gekonnt hatte, trübte ihm die Vorfreude auf das ersehnte große Ereignis beträchtlich.
     
    Und nun geschah es also, daß die Opfer von »Selbstlosigkeit, Heldenmut und löblichem Eifer« eines Erast Fandorin (so hatte es im Erlaß Seiner Majestät zur Ordensverleihung geheißen) ihm just am Tage seiner Hochzeit unter die Augen traten.
    Fandorin ließ den Kopf hängen, wurde mißmutig, so daß Lisanka nach Eintreffen im elterlichen Haus an der Malaja Nikitskaja entschlossene Maßnahmen ergriff: Sie zog sich mit ihrem übellaunigen Gemahl in die gleich hinter der Diele gelegene Ankleidekammer zurück, verbot ihren Angehörigen und dem Personal strengstens den unaufgeforderten Zutritt – was diese nicht weiter kümmerte, da sie alle Hände voll zu tun hatten, die eintreffenden Gäste bis zum Beginn des Banketts bei Laune zu halten. Aus der Küche, wo seit dem Morgengrauen die eigens verpflichteten Meisterköche aus dem »Slawjanski Basar« am Wirken waren, drangen himmlische Wohlgerüche; hinter den fest verschlossenen Türen des Tanzsaals probte das Orchester ein letztes Mal den Wiener Walzer – es ging also alles seinen Gang. Nur der demoralisierte Bräutigam mußte wieder aufgerichtet werden.
    Nachdem die Braut sich vergewissert hatte, daß keine zur Unzeit erinnerte Nebenbuhlerin den Grund für die plötzliche Melancholie ausmachte, war sie vollends beruhigt und ging in die Offensive. Direkten Fragen suchte sich Fandorin mit einem Brummen zu entziehen, so daß Lisanka ihreTaktik ändern mußte. Sie strich ihrem Gemahl über die Wangen, küßte ihn zuerst auf die Stirn, dann auf die Lippen, dann auf die Augen – und der Gemahl ergab sich, schmolz unter ihren Händen, tat wieder alles, was und wie sie es von ihm wünschte. Was indes noch lange kein Grund war, allzubald in den Kreis der Gäste zurückzukehren. Einige Male schon war der Baron im Vestibül erschienen und vor die verriegelte Tür getreten, hatte sogar ein delikates Hüsteln von sich gegeben, jedoch nicht zu klopfen gewagt.
    Schließlich aber mußte es sein.
    »Erast!« rief Alexander Apollodorowitsch, der seinen Schwiegersohn seit dem Morgen duzte, »entschuldige, mein Freund, da verlangt ein Feldjäger aus Petersburg nach dir. In dringender Angelegenheit!«
    Dabei schielte der Baron nach dem blutjungen Offizier mit Federbusch am Helm, der wie aus Erz gegossen bei der Haustür stand. Unter dessen Achsel klemmte ein kleines quadratisches Päckchen, eingewickelt in graues Kanzleipapier, das Siegel zeigte den imperialen Adler.
    Das erhitzte Gesicht des jungen Ehemanns erschien im Türspalt.
    »Zu mir, Oberleutnant?«
    »Herr Fandorin?
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