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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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Lady Aster kategorisch. »Und ich lasse Sie allein. Ich möchte das nicht mit ansehen, sonst kann ich heute nacht nicht schlafen. Andrew, du kommst mit. Ich habe noch ein paar dringende Depeschen zu schreiben, die trägst du zum Telegrafen. Wir müssen Vorkehrungen treffen – man wird unseren Freund recht bald vermissen.«
    »Schon recht, Mylady, Sie würden mich doch nur stören«,erwiderte der Professor zerstreut, von seinen Vorbereitungen ganz in Anspruch genommen. »Ich werde Sie das Ergebnis schleunigst wissen lassen.«
    Endlich löste sich der Klammergriff, der Fandorins Ellbogen niedergedrückt hatte.
    Kaum hatten sich die Schritte auf dem Flur entfernt, schlug Fandorin die Augen auf, riß seine Beine los, streckte die Knie blitzschnell wieder und trat Timothy dabei so kräftig vor die Brust, daß er in die Ecke flog. Im nächsten Moment war Fandorin vom Tisch auf den Boden gesprungen und zog, blinzelnd vom grellen Licht, die brave Herstal unter dem Rockschoß hervor.
    »Keine Bewegung, oder ich schieße!« zischte der Auferstandene, nach Rache gierend, und hatte tatsächlich in diesem Augenblick nicht übel Lust, die beiden niederzuschießen: den blöde mit den Augen klappernden Timothy ebenso wie den verrückten Professor, der verdutzt mit zwei Stahlklammern in der Hand vor ihm stand. Von den Klammern führten dünne Drähte zu einer komplizierten, Funken spuckenden Maschine. Überhaupt gab es in dem Laboratorium allerlei interessante Gerätschaften zu sehen – sie zu betrachten war leider nicht der Moment.
    Der Portier unternahm keinen Versuch, auf die Füße zu kommen, schlug nur ein zaghaftes Kreuz; Blank hingegen verhielt sich weniger harmlos. Fandorin hatte den Eindruck, als sei der Gelehrte nicht im geringsten erschrocken, nur wütend über den eingetretenen Zwischenfall, der sein Experiment gefährdete. Gleich stürzt er sich auf mich! schoß es Fandorin durch den Kopf. Die Mordlust verging ihm, war augenblicklich vorüber.
    »Keine Dummheiten! Bleiben Sie, wo Sie sind!« schrie Fandorin, die Stimme zitterte ihm ein wenig.
    Im selben Moment brüllte Blank los, auf deutsch: »Schweinehund! Du hast alles verdorben!«
    Und warf sich auf sein Versuchsobjekt, wobei er mit der Hüfte gegen die Tischkante stieß.
    Fandorin drückte ab. Nichts geschah. Die Sicherung! Er entriegelte sie. Dann schoß er, zweimal hintereinander. Es gab einen Doppelknall, pa-pamm! – und der Professor fiel kopfüber nach vorn, dem Schützen direkt vor die Füße.
    Fandorin, der einen Angriff von hinten befürchtete, fuhr herum, die Waffe immer noch im Anschlag, doch Timothy hockte, den Rücken gegen die Wand gepreßt, in der Ecke und hob zu winseln an: »Nicht schießen, Euer Ehren! Ich kann nichts dafür! So wahr mir Gott helfe! Euer Wohlgeboren!«
    »Steh auf, du Lump!« bellte Fandorin, halb taub und vollkommen entfesselt. »Vorwärts marsch!«
    Er stieß dem Portier die Pistole in den Rücken, jagte ihn über den Korridor, die Stiege hinunter. Der Portier lief mit trippelnden Schritten und zeterte jedes Mal, wenn der Lauf ihm zwischen die Rippen fuhr.
    Im Nu hatten sie den Pausenflur durchquert. Fandorin sah mit Absicht nicht in die Klassenräume, wo die Lehrer standen und große Augen machten und hinter ihren Rücken die Kinder in den blauen Uniformen stumm hervorlugten.
    »Polizei!« rief Fandorin. »Keiner verläßt die Klassen! Die Lehrer auch nicht!«
    Im Laufschritt fegten sie durch die lange Galerie und gelangten in den Seitenflügel. Vor der weißgoldenen Tür versetzte Fandorin Timothy einen derben Stoß. Der Portier knallte mit der Stirn gegen die Tür, die davon aufsprang. Er taumelte. Drinnen war niemand. Das Zimmer war leer!
    »Vorwärts marsch! Alle Türen aufschließen!« befahlFandorin. »Und paß ja auf: Wenn du Zicken machst, erschieße ich dich wie einen Hund!«
    Erschrocken schlug der Portier die Hände zusammen und raste zurück auf den Flur. Binnen fünf Minuten hatten sie alle im Parterre gelegenen Zimmer durchsucht. Keine Menschenseele. Einzig in der Küche lag, vornüber auf den Tisch gekippt, das leblose Gesicht zur Seite gedreht, der arme Kutscher und schlief seinen ewigen Schlaf. Fandorin sah kurz auf die Zuckerkrümel in seinem Bart, die Teepfütze, dann befahl er Timothy, sich zu sputen.
    Im ersten Stock befanden sich zwei Schlafzimmer, eine Kleiderkammer und die Bibliothek. Auch hier waren die Baronesse und ihr Lakai nicht anzutreffen. Wo zum Teufel steckten sie? Hatten sie die Schüsse
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