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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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haben Sie Gebhardt angetan?«
    »Er ist tot. Selber schuld. Hätte mir nicht vor die Kimme springen müssen«, erwiderte Fandorin grob; daran, daß er binnen weniger Minuten zwei Menschen umgebracht hatte, wollte er jetzt nicht denken müssen.
    »Das ist ein schwerer Verlust für die Menschheit. Vielleicht war er von Natur aus etwas sonderbar und gehemmt, doch als Wissenschaftler war er ein ganz Großer. Wieder ein Asasel weniger …«
    Fandorin horchte auf.
    »Was heißt das, ein Asasel?« brach es aus ihm hervor. »Was hat dieser Satan mit Ihren Waisenkindern zu schaffen?«
    »Asasel ist kein Satan, mein Junge. Er ist das großartige Symbol für einen Erlöser und Erleuchter der Menschheit. Der Herr hat diese Welt erschaffen, er schuf die Menschen und überließ sie sich selbst. Doch die Menschen sind schwach und blind, so furchtbar blind, daß sie Gottes Werk zur Hölle gemacht haben. Die Menschheit wäre längst ausgemerzt, wenn nicht von Zeit zu Zeit Ausnahmepersönlichkeiten geboren würden. Keine Dämonen und keine Götter,
héros civilisateurs
nenne ich sie. Jedem von ihnen hat die Welt einen Sprung nach vorn zu verdanken. Prometheus hat uns das Feuer gegeben. Moses den Gesetzesbegriff. Christus gab uns das moralische Gerüst. Doch der bedeutsamste dieser Heroen ist der jüdische Asasel, der die Menschen das Empfinden ihrer eigenen Würde gelehrt hat. Im Buch Henoch steht geschrieben: ›Er war von Liebe zu den Menschen voll und entdeckte ihnen die Geheimnisse, die er imHimmel erfahren hatte.‹ Der Mensch bekam von ihm den Spiegel zum Geschenk, damit er den Menschen hinter sich sehen konnte – das heißt, damit er ein Gedächtnis hatte und seine Vergangenheit erkennen konnte. Den Mann versetzte Asasel in die Lage, ein Handwerk betreiben und sein Haus beschützen zu können. Die Frau ermächtigte er, vom braven, fruchtbaren Weibchen zum ebenbürtigen Menschen zu reifen, frei wählen zu dürfen: häßlich zu sein oder schön, Mutter oder Amazone, für die Familie zu leben oder für die ganze Menschheit. Gott hat dem Menschen die Karten in die Hand gegeben, Asasel aber hat ihn gelehrt, wie man damit spielen muß, um zu gewinnen. Jeder meiner Sprößlinge ist ein Asasel, auch wenn sie es nicht alle wissen …«
    »Was heißt, nicht alle?« unterbrach Fandorin ihren Redefluß.
    »In den hohen Zweck sind nur die wenigsten eingeweiht, die allertreuesten und unbeugsamsten«, erläuterte die Lady. »Sie sind es, die alle schmutzige Arbeit auf sich nehmen, damit die übrigen meiner Kinder unbefleckt bleiben können. Es ist meine Avantgarde, die insgeheim und Schritt für Schritt das Steuer ergreifen und den Lauf der Welt lenken soll. Oh, wie wird dieser Planet erblühen, wenn meine Asasels einmal die Führung übernommen haben! Und es könnte durchaus bald soweit sein – in zwanzig Jahren vielleicht schon … Die übrigen Zöglinge der Asternate gehen derweil ihren Weg durch das Leben und tun der Menschheit unermeßlich viel Gutes. Ich aber beobachte ihr Treiben, freue mich über ihre Erfolge und weiß, in der Not wird keiner von ihnen seiner Mutter die Hilfe versagen. Ich frage mich, was nun aus ihnen wird, wenn ich nicht mehr bin? Wie wird es der Welt ergehen? … Ach was. Asasel wird leben, der Bund wird meine Sache zu Ende führen.«
    Fandorin war entrüstet.
    »Ihre getreuen und unbeugsamen Asasels habe ich zur Genüge kennengelernt! Morbid und Franz und Andrew und den mit den Fischaugen, der Achtyrzew auf dem Gewissen hat! Ist sie das, Ihre Avantgarde, Mylady? Die Würdigsten unter den Würdigen?«
    »Nicht sie allein. Doch sie gehören dazu. Ich habe Ihnen schon erzählt, mein Freund, daß manches meiner Kinder Mühe hat, seinen Weg in der heutigen Welt zu finden, weil seine Gabe nur in ferner Vergangenheit etwas wert war oder aber erst in ferner Zukunft benötigt wird, entsinnen Sie sich? Genau diese Zöglinge sind meine treuesten und ergebensten Vollstrecker. Die einen sind das Hirn, die anderen der Arm, so ist das nun mal. Der Mann, der Achtyrzew aus der Welt geschafft hat, gehört übrigens gar nicht dazu. Er ist unser zeitweiliger Verbündeter.«
    Die Finger der Baronesse schienen von allein über die polierte Oberfläche des Kästchens zu wandern und drückten wie zufällig und nebenbei einen kleinen, runden Knopf.
    »So, das war’s, mein lieber Junge. Uns beiden bleiben noch zwei Minuten. Gemeinsam scheiden wir aus diesem Leben. Es tut mir leid, ich kann Sie nicht verschonen. Sie würden meinen
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