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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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geringer wird. Alteingesessene Moskauer wissen zum Beispiel, daß es sich inMariä Himmelfahrt an der Sretenka im alten Druckerviertel trefflich heiraten läßt: Die Vermählten leben lang, und sie sterben zuletzt am selben Tag. Wem freilich an einer vielköpfigen Nachkommenschaft liegt, der ist mit Sankt Nikolai am Großen Kreuz besser beraten, welch Gotteshaus sich in Kitai-Gorod über ein ganzes Geviert erstreckt. Wer Häuslichkeit und stilles Behagen über alles schätzt, der wähle Sankt Pimen im Wächterviertel, Staryje Worotniki. Ist er ein Mann des Militärs, der seine Tage jedoch mitnichten auf dem Feld der Ehre, sondern am heimischen Herd und nah den Seinen beschließen möchte, so sollte er sein Ehegelöbnis in Wspolje, Sankt Georg am Rain, ablegen. Und natürlich wird keine liebende Mutter ihrer Tochter gestatten, sich in Sankt Barbara an der Warwarka trauen zu lassen, um ihr restliches Leben in Qual und Pein, am Bettelstab zu verbringen.
    Was indes die vornehmen und hochrangigen Herrschaften angeht, so schränkt sich die Auswahl für sie gehörig ein, denn die Kirche muß stattlich und geräumig genug sein, all die vielen Gäste unterzubringen, die man die Creme der Moskauer Gesellschaft nennt. Zu der Trauung nun, die eben in der pompösen Kirche von Slastoustino ihrem Ende zuging, hatte sich »ganz Moskau« eingefunden. Am Portal, vor der langen Kette von Equipagen drängten sich die Gaffer und zeigten einander die Kutsche Seiner Durchlaucht des Generalgouverneurs, Fürst Wladimir Andrejewitsch Dolgoruki, dessen Anwesenheit darauf schließen ließ, daß die Hochzeit ihrer Bedeutsamkeit nach ganz weit oben rangierte.
    In die Kirche war man nur auf besondere Einladung gelangt – nichtsdestoweniger waren an die zweihundert Gäste zusammengekommen. Viele blitzende Uniformen gab es zu bestaunen, militärische ebenso wie zivile Ränge, viele entblößte Damenschultern, hochaufgetürmte Frisuren,Ordensbänder, Sterne und Brillanten. In sämtlichen Kronleuchtern und Kandelabern brannten Kerzen. Das Ritual zog sich schon geraume Zeit hin, und die Anwesenden wurden allmählich müde. Zwar zeigte sich die Weiblichkeit, gleich welchen Alters und Familienstandes, ausnahmslos entzückt und ergriffen, die Herren indes, sichtlich leidend, waren bereits in halblaute Gespräche vertieft, deren Inhalt wenig hierher gehörte. Man hatte das junge Ehepaar schon zur Genüge diskutiert. Den Brautvater Alexander Apollodorowitsch von Ewert-Kolokolzew, seines Zeichens Wirklicher Geheimrat, kannte in Moskau ein jeder, und seine liebreizende Tochter Jelisaweta Alexandrowna war seit dem vorigen Jahr wiederholt auf Bällen gesichtet worden; so war es vor allem der Bräutigam, Erast Petrowitsch Fandorin, welcher Neugier erregte. Über ihn wußte man kaum etwas. Kein Hiesiger, soviel war sicher, ein Sprößling aus der Hauptstadt und in Moskau nur hin und wieder auf Grund höherer Mission zugange, ein Karrierist also, der vor dem Altar an Staatsmacht hinzugewann. Dem Range nach einstweilen bescheiden, doch sehr jung noch und rasch aufwärts strebend. In seinem Alter den Wladimir-Orden am Revers, das hatte schon etwas zu sagen. Klug war der alte Ewert-Kolokolzew, er investierte in die Zukunft.
    Die Damen hingegen hatten eher den Blick für die Zartheit und Schönheit des jungen Paares, und sie konnten sich nicht satt sehen. Rührend der Bräutigam in seiner Aufregung, wurde abwechselnd rot und blaß, stotterte sich durch das Gelöbnis – mit einem Wort, allerliebst. Und erst die Braut, Lisanka Ewert-Kolokolzewa, sie erschien als ein ganz und gar überirdisches Geschöpf, das Herz schlug einem bis zum Halse, wenn man sie nur sah: das weiße, wolkige Kleid, der schwerelose Schleier, der Brautkranz aus sächsischenMoosröslein – alles genau so, wie es sein mußte. Im entscheidenden Moment, da die Brautleute aus dem Kelch mit dem Wein nippten und den Kuß tauschten, schien die Braut nicht im geringsten verlegen, im Gegenteil: Ein Strahlen ging ihr über das Gesicht, und sie flüsterte dem Bräutigam etwas zu, wovon ihm gleichfalls ein Lächeln auf die Lippen trat.
    Was Lisanka Erast ins Ohr flüsterte, war dies: »Die arme Lisa hat sich’s überlegt. Sie geht doch nicht ins Wasser und heiratet lieber.«
    Für Fandorin war der bisherige Tag eine Strapaze gewesen: er stand im Blickpunkt der Öffentlichkeit und war den Übergriffen seiner Umgebung hilflos ausgeliefert. Scharen ehemaliger Schulkameraden waren aufgetaucht sowie »alte
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