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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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Mirkin. »Ich beabsichtige, die Flawseschen Bücher einer minutiösen Prüfung zu unterziehen. Persönlich.«
Mr. Wieman zögerte. Er befand sich zwischen der Scylla der Vergangenheit und der Charybdis namens Leitender Steuerinspektor der Oberfinanzdirektion (Unterabteilung Steuerhinterziehung). Nach reiflicher Erwägung hielt er es im Hinblick auf seine Zukunft für besser, wenn Mr. Mirkin selbst die Erfahrung machte, wie schwierig es war, der Familie Flawse Steuern zu entlocken. Daher schwieg er, und Mr. Mirkin fuhr ohne Vorwarnung los.
In Wark angekommen, wies man ihm den Weg über Black Pockrington zur Flawse Hall. Dort traf er auf das erste Hindernis in Gestalt des verschlossenen Tores an der über den Graben führenden Brücke. Über die von Lockhart installierte Gegensprechanlage sprach er mit Mr. Dodd. Mr. Dodd sagte höflich, er werde nachsehen, ob sein Herr zu Hause sei.
»Unten an der Brücke ist ein Mann vom Finanzamt«, teilte er dem im Arbeitszimmer sitzenden Lockhart mit. »Er sagt, er sei der Leitende Steuerinspektor. Du möchtest ihn doch bestimmt nicht sprechen?«
Doch Lockhart sprach mit ihm. Per Gegensprechanlage fragte er Mr. Mirkin, mit welchem Recht er unbefugt privaten Grund und Boden betrete.
»Mit dem Recht eines Leitenden Steuerinspektors«, sagte Mr. Mirkin, »und die Frage von privatem Grund und Boden stellt sich gar nicht. Ich bin berechtigt, Sie aufzusuchen, um Erkundigungen über Ihre finanziellen Angelegenheiten einzuziehen, und ...«
Während er sprach, verließ Mr. Dodd das Haus durch den Küchengarten und ging zum Damm hinüber. Mr. Mirkin war inzwischen zu wütend, um die Umgebung zu beobachten, und setzte seinen Streit mit Lockhart fort.
»Kommen Sie nun runter und öffnen das Tor oder nicht?« wollte er wissen. »Wenn nicht, werde ich einen Durchsuchungsbefehl beantragen. Wie lautet Ihre Antwort?«
»Ich komme gleich«, sagte Lockhart, »ich habe den Eindruck, daß es gleich regnet und ich einen Schirm brauche.«
Mr. Mirkin blickte auf œ in einen wolkenlosen Himmel.
»Was zum Teufel soll das heißen, Sie werden einen Schirm brauchen?« rief er in die Gegensprechanlage. »Es sieht absolut nicht nach Regen aus.«
»Also, ich weiß nicht recht«, erwiderte Lockhart, »in dieser Gegend kommt es zu Wetterstürzen. Ich habe schon erlebt, daß es aus heiterem Himmel in Strömen goß.«
In diesem Augenblick öffnete Mr. Dodd das Hauptschleusentor am Fuß des Dammes, und aus den riesigen Rohren ergoß sich ein tosender Wasserwall, der drei Meter hoch durch den Graben tobte, gerade als Mr. Mirkin protestieren wollte, so einen Unsinn habe er in seinem ganzen Leben noch nie gehört.
»In Strömen, also wirklich ...«, hub er an, doch der Rest blieb ihm im Halse stecken. Ein scheußliches gurgelndes Geräusch drang von der anderen Seite des Hanges herüber, halb Zischen und halb Donnergrollen. Mr. Mirkin schaute entgeistert in Richtung des Lärms. Sekunden später rannte er wie von der Tarantel gestochen an seinem Wagen vorbei und den Schotterweg nach Black Pockrington hinauf. Es war zu spät. Die Wasserwand war zwar keine drei Meter mehr hoch, aber immer noch hoch genug, um das Auto samt Leitendem Steuerinspektor (Oberfinanzdirektion usw.) von den Reifen bzw. Füßen zu fegen und einen halben Kilometer weit das Tal hinunter und in den Tunnel zu schwemmen. Genauer gesagt, das Wasser trug Mr. Mirkin in den Tunnel, wohingegen sein Wagen sich vor dessen Eingang verkeilte. Dann erst schloß Mr. Dodd das Schleusentor und begab sich, nachdem er als Vorsichtsmaßnahme den Wasserstandsmesser auf der Mauer neben dem Damm zehn Zentimeter höher eingestellt hatte, zurück ins Herrenhaus.
»Ich bezweifle, daß er es auf demselben Weg noch mal versucht«, sagte er zu Lockhart, der das Tauchen des Beamten mit tiefer Befriedigung beobachtet hatte.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, entgegnete Lockhart, während Jessica, weil sie ein so gutes Herz hatte, hoffte, daß der arme Mann schwimmen konnte.
Mr. Mirkin hatte alles andere als ein gutes Herz, als er den Tunnel nach anderthalb Kilometern verließ und, nachdem er durch etliche große Rohre und zwei tiefe Wasserbecken geschleudert, geschlagen, gewirbelt und gesaugt worden war, endlich in der relativen Stille des Nebenstaubeckens unterhalb von Tombstone Law zur Ruhe kam. Halb ersoffen, mit üblen Schürfungen und Rachegedanken im Herzen, vom Wasser überall ganz zu schweigen, kletterte er mühsam ans Ufer und schleppte sich zu einem Bauernhaus. Den
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