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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto
Autoren: Anne Rice
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beste, die sie je gehört hätten. ›Marianna, Marianna‹, mein Name war in den Salons von Paris und London in aller Munde, die Leute kannten mich in Rom. Einen Sommer sind wir in einem Boot die Brenta hinuntergefahren, wir haben in allen Villen gesungen; wenn wir wollten, haben wir danach auch getanzt; wir haben mit den Gästen Wein getrunken...«
    Tonio war schockiert. Lena wusch und kämmte sie, als wäre sie ein kleines Kind, schenkte ihr, um sie zu beruhigen, Wein ein und nahm Tonio dann beiseite.
    »Alle Mädchen der Musikschulen wurden in dieser Weise ge-rühmt; sei nicht so töricht zu glauben, daß das etwas Besonderes war«, sagte sie. »Es ist nicht im mindesten damit zu vergleichen, wie es ist, wenn jemand auf der Bühne steht, um Himmels willen, warum siehst du mich denn so an?«
    »Ich hätte zur Bühne gehen sollen!« sagte Marianna plötzlich.
    Sie schlug die Bettdecke zurück, ihr Kopf nickte nach vorn, das Haar fiel ihr strähnig über das fahle Gesicht.
    »Jetzt sei still«, sagte Lena zu ihr. »Tonio, geh mal eine Weile nach draußen.«
    »Nein, warum soll er denn gehen?« fragte Marianna. »Warum schickst du ihn denn immer fort! Tonio, sing mir etwas vor, egal was. Sing etwas, was du aus dem Stegreif improvisierst.
    Ich hätte damals davonlaufen und zur Oper gehen sollen, das hätte ich tun sollen. Wir hätten aus dem Koffer gelebt, und du hättest hinter der Bühne mit den Requisiten gespielt. Ach nein, sieh dich doch nur an. Euer Exzellenz Marc Antonio Treschi -«

    Es war eine schreckliche Zeit.
    Wenn Catrina Lisani zu Besuch kam, wimmelte Lena sie mit irgendwelchen vagen Diagnosen ab, und wenn Andrea Treschi das Schlafzimmer seiner Frau betreten wollte, was zwar selten, aber doch immer wieder einmal vorkam, stoppte ihn Lena mit denselben Entschuldigungen.
    Zum ersten Mal war Tonio ernsthaft versucht, sich aus dem Palazzo davonzustehlen.
    Die Stadt befand sich gerade mitten in den Vorbereitungen für den größten aller venezianischen Feiertage - das Fest von Christi Himmelfahrt oder die Senza -, an dem der Doge in der herrlichen goldenen Staatsbarke, Bucintoro genannt, aufs Meer hinausfuhr, um dort, als Zeichen seiner Vermählung mit dem Meer und dafür, daß Venedig darüber herrschte, seinen Zeremonienring in die Fluten zu werfen. Venedig und das Meer, das war eine uralte und heilige Verbindung. Beim Gedanken daran verspürte Tonio ein angenehmes Prickeln, obwohl er von seinem Fenster aus von dem Ritual kaum etwas würde sehen können. Und wenn er dann noch an den zwei-wöchigen Karneval dachte, der darauf folgte, an die Maskenträger in den calli und auf den Kais, dann war er vor Erwartung und Groll ganz krank.
    Eifriger denn je sammelte er kleine Geschenke für die Stra-
    ßensänger, die er nachts zu ihnen hinunterwarf, damit sie unter seinem Fenster weitersangen.
    Eines Nachts, als er in besonders leichtsinniger Stimmung war
    - die Senza nur noch zwei Wochen entfernt -, sang er ihnen eine Antwort zu: »Ich bin der, der euch heute nacht mehr liebt als jeder andere in Venedig!«
    Seine Stimme brach sich an den steinernen Mauern, und er war so erregt, daß er fast gelacht hätte. Er sang weiter, wob dabei all die blumigen Verse zum Lob der Musik ein, die er kannte, bis er merkte, daß er sich langsam lächerlich machte.
    Aber es war ein so wunderbares Gefühl. Er merkte nicht einmal, daß es unten plötzlich ganz still geworden war. Als dann wilder Applaus und begeisterte Rufe vom schmalen Bür-gersteig heraufschollen, errötete er voller Scheu und in stummem Lachen.
    Dann riß er sich die juwelenbesetzten Knöpfe von seinem Rock, um sie den Sängern zu schenken.

    Dann war Beppo eines Nachmittags so töricht, Alessandro, den ersten Sänger von San Marco, mitzubringen, damit dieser Tonio und seiner Mutter beim Singen zuhören konnte.
    Es war noch nicht lange her, daß Beppo sich in Mariannas Zimmer herumgedrückt hatte, um sie zu fragen, wann ihr ein solcher Besuch recht wäre. Beppo war sehr stolz auf Tonios Stimme, und Marianna betete er an. Für ihn war sie ein Engel.
    »Aber ja, du kannst ihn jederzeit mitbringen«, hatte sie fröhlich geantwortet. Sie war bereits bei ihrer zweiten Flasche spani-schem Südwein angelangt und wanderte in ihrem Morgenmantel im Zimmer umher. »Bring ihn nur her. Ich freue mich auf seinen Besuch. Wenn du willst, dann tanze ich ihm etwas vor. Tonio kann dazu das Tambourin schlagen. Wir werden einen richtigen Karneval veranstalten.«
    Tonio war gekränkt.
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