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Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha

Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha

Titel: Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Autoren: Jennifer Fallon
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Vorstellung von Unsterblichkeit abzufinden«, sagte der Gezeitenfürst und kam näher. »Ich halte dir das zugute.«
    Sein Tonfall klang viel vernünftiger, als Balen erwartet hätte. Ein kleiner Funken Hoffnung blitzte in ihm auf. Vielleicht waren die Gerüchte, die er über Kentravyon gehört hatte, einfach nur das: Gerüchte, sonst nichts ...
    Der Gezeitenfürst trat direkt vor ihn. Er lächelte und hob die Hände. Balen wich zurück, aber der Unsterbliche versuchte gar nicht, ihn zu schlagen. Er nahm Balens Gesicht zwischen seine Hände, mit einer Zärtlichkeit, die Balen erschreckte, und lächelte gütig.
    »Ihr armen, armen Sterblichen«, flüsterte er sanft, verführerisch. »Ihr wollt so sehnsüchtig, was wir haben, nicht wahr?«
    Balen konnte nicht antworten. Kentravyons behandschuhte Finger streichelten sein Gesicht. Die Welt schien sich zurückzuziehen. Selbst Lynas Wimmern verschwand im Hintergrund ...
    Kentravyon beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund, dann richtete er sich wieder auf und lächelte Balen an. »Ich vergebe dir.«
    Balens Körper erschlaffte vor Erleichterung. »Mein Fürst...«
    »Und weil ich dir vergebe, werde ich dich davor bewahren, mit anzusehen, was ich deiner Familie antue. Und deinem Dorf. Und jedem, der denkt, er könnte seine Götter foltern.«
    Es waren der Blick aus der Tiefe der Augen des Unsterblichen und seine Worte, die Balen starr vor Angst werden ließen. Da war Vergebung, sicher, aber es war Vergebung ohne Erbarmen. Balen versuchte sich loszumachen, aber der Gezeitenfürst hielt ihn fest und legte ihm beide Daumen auf die Augenlider.
    Langsam erhöhte Kentravyon den Druck auf Balens Augen, bis es unerträglich wurde. Balen hörte Schreie und merkte, dass es seine eigene Stimme war. Der Schmerz raubte ihm den Verstand, wurde schlimmer und schlimmer. Das linke Auge platzte einen Moment vor dem rechten. Blut strömte aus seinen Augenhöhlen, und sein Schreien schmeckte salzig, als sich das Blut mit den Tränen mischte.
    Kentravyon ließ ihn los. Balen sackte zu Boden und schluchzte bitterlich, nicht nur vor Schmerzen, sondern auch vor Verzweiflung über seinen bevorstehenden Tod.
    Dies war nur der Auftakt gewesen, das war ihm klar. Er hatte nicht mehr lange zu leben.
    In weiter Ferne hörte er ein Schloss rasseln und begriff, dass Kentravyon Lyna aus dem Käfig befreite. Gleich darauf krachte ein Fußtritt in seine Rippen. Er ächzte unter der Gewalt des Stoßes und rollte sich auf die Seite, um dem nächsten Treffer zu entgehen. Die Welt blieb schwarz hinter seinen zerstörten Augen. Aus den blutigen Höhlen quoll gallertartiger Matsch.
    »Dreckschwein!«
    »Hey, ganz ruhig, Lyna ... das war nicht nett.« Kentravyons Stimme klang immer noch friedlich ... geradezu beschwichtigend ...
    »Ich töte diesen sadistischen kleinen Sack.«
    »Nein, meine Liebe, das tust du nicht.«
    »Er hat mir die Hand abgehackt!«
    »Und du wirst gerächt werden«, versprach der Gezeitenfürst. »Aber dein Peiniger muss wissen, wie du gerächt wirst, sonst kann er keine Vergebung erfahren.«
    »Wie soll er denn etwas mitkriegen?«, gab sie ungeduldig zurück. »Du hast ihm die Augen rausgedrückt.«
    »Aber er kann noch hören«, erklärte Kentravyon.
    Balen wimmerte vor Angst, aber nicht mehr um sich. Gezeiten, bitte lasst meine Familie sicher von hier fort sein .. .
    Die Gezeiten ignorierten das Gnadengesuch. Seine Familie war noch im Haus, wie er bald feststellte. Die Dörfler schliefen in ihren Heimen und ahnten nichts von der Gefahr, die er mit seiner Arroganz über sie gebracht hatte.
    Er konnte sie natürlich nicht sehen.
    Aber als er so an der Esse lag und sie langsam erkalten fühlte, fand er heraus, dass Kentravyon recht gehabt hatte.
    Er konnte - und musste - ihre Schreie mit anhören, als sie alle starben.

ERSTER TEIL
     
     
     
     
    Gezeitentausch, und wieder kommt die Flut
    Der frischen Toten Halde immer schon –
    Die Knochen derer, die uns widerstanden
    und auch die Herzen derer, die da flohen.
     
     
    - White Horses
    Rudyard Kipling (1865-1936)

1
     
     
    Nur jemand, der sehr genau hinsah, konnte die getarnte Chamäleon-Crasii vor dem filigranen Detailreichtum des Wandgemäldes erkennen. Die stilisierte Jagdszene im Promeniersaal der Damen entfaltete sich auf der Westwand und lief über die ganze Länge des riesigen dritten Stockwerks im Königsschloss von Caelum. Der ganze Saal bildete eine lange, schmale Promenade, wo in den langen caelischen Wintern, wenn der
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