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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 1 Schnitt

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 1 Schnitt

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 1 Schnitt
Autoren: Martin Clauß
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sich nach der Operation würde schonen müssen. Dass es dauern konnte, ehe er sich wieder an die Arbeit machen durfte. Sie hatte mit seinen Auftraggebern telefoniert, hatte ihnen die Situation erläutert, bei einigen Aufträgen Fristverlängerung erwirkt und andere abgesagt.
    Piet machten diese Nachrichten unruhig. Es war das erste Mal, dass er angenommene Aufträge ablehnen musste. Es waren interessante Herausforderungen darunter, auf die er hin gefiebert hatte.
    Am meisten aber störte ihn, dass er bei Ekaterini eine unterschwellige Zufriedenheit mit der Situation registrierte.
    Freilich – seine Verletzung war ein Schock für sie gewesen, und dass sie ihm von Herzen das Augenlicht zurück wünschte, bezweifelte er nicht. Aber auf einer anderen Ebene schien sie froh zu sein, ihn in dieser Lage zu wissen. Sie schien jeden Tag zu genießen, den er nicht in seinem Labor verbrachte. Vielleicht glaubte sie sogar, dass es ein Wink des Schicksal gewesen war. Dass ihm eine höhere Macht damit eine Botschaft schickte.
    Piet wusste, wie diese Botschaft ihrer Meinung nach lauten musste: Du sollst dich weniger in deiner Arbeit vergraben.
    Möglich, dass es tatsächlich eine Botschaft gewesen war, von irgendeiner Macht im Kosmos. Von Gott oder jemandem, den man für Gott zu halten pflegte.
    Aber Piet war ziemlich sicher, dass der Inhalt dieses drastischen Telegramms anders lautete, als seine Frau vermutete.

6
    Am vierten Tag wurde er entlassen. Man versicherte ihm, man würde ihn umgehend verständigen, sobald zwei geeignete Hornhäute verfügbar waren. Es gab eine Warteliste. Man würde versuchen, beide Augen auf einmal zu operieren.
    Piet verbrachte zwei unerträgliche Wochen zu Hause. Für Stunden schloss er sich in seinem Labor im Untergeschoss ein, ohne etwas zu tun. Er konnte nichts tun, blind und hilflos, wie er war.
    Vielleicht hätte er einige wichtige Telefonate erledigen können, aber er wollte mit niemandem reden. Er schämte sich für das, was ihm passiert war. Sein Augenlicht verloren zu haben, wenn auch nur vorübergehend, war, als habe ein Ritter sein bestes Schwert verlegt. Er hatte sich das nehmen lassen, worauf er eigentlich am meisten hätte aufpassen müssen. Er bildete sich ein, er hätte seine Augen mit seinem Leben verteidigen müssen. Eher hätte er sterben müssen, als sich so leicht zu einem Blinden machen zu lassen.
    Natürlich versuchte Ekaterini, ihn aus seinem Kellerloch herauszulocken, wie sie das supermoderne, peinlichst aufgeräumte Labor nannte. Sie forderte ihn dazu auf, Urlaub zu machen, mit ihr gemeinsam Spaziergänge oder eine kleine Reise zu unternehmen. Er hatte keine Lust dazu. Wozu sollte er draußen gegen Bäume laufen oder über Randsteine stolpern, den vorbeifahrenden Autos oder dem Geschwätz der Passanten lauschen, wenn sein Platz hier war?
    Er begann, Ekaterini zu hassen.
    Es war das erste Mal, dass er ihr gegenüber solche Gefühle in sich spürte.
    In ihrer Gegenwart fühlte er sich hilflos, und ihre rührenden Bemühungen, ihm zu helfen und ihn aufzuheitern, verstärkten diesen Eindruck nur. Sein Eindruck, dieser Vorfall, der in sein Leben gefahren war wie ein unmotivierter Schnitt eines laienhaften Cutters, käme ihr gar nicht ungelegen, verstärkte sich von Tag zu Tag. Er konnte ihre Gefühle nachvollziehen, aber er konnte sie nicht ändern.
    Es war wieder einmal wie in einem Film. Die Handlung lief ab und war auch vom aufmerksamsten Zuschauer nicht zu ändern. In seinem Leben war Piet Figur und Publikum zugleich.
    Die erste Woche hatte er es nicht einmal gewagt, den riesigen Schrank zu öffnen, in dem er seine Filme lagerte. Es war mehr als nur ein gewöhnlicher Schrank. Der stählerne Kasten war eher ein Tresor, mehrfach gesichert und außerdem vollklimatisiert. Temperatur und Luftfeuchtigkeit waren in den drei verschiedenen Abteilungen beliebig einstellbar. Piet fürchtete sich vor dem Gefühl, das ihn befallen würde, wenn er die Filme, die dort lagerten, ertasten und riechen konnte, aber nicht sehen.
    In der Mitte der zweiten Woche wagte er sich mit zitternden Händen an sein Allerheiligstes. Ein Schloss war mit dem Schlüssel zu öffnen, ein anderes über eine Zahlenkombination. Piet war nervlich so sehr am Ende, dass er den Kontakt zu seinen Filmen brauchte – und wenn es auch nur bedeutete, sie in den Händen zu halten.
    Als die Tür aufschwang, schlug ihm der vertraute Geruch entgegen. Altes Zelluloid, ein unbeschreiblicher, aber einprägsamer Duft, der ihn
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