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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30
Autoren: Martin Clauß
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hatte, und strauchelte. Sie schaffte es, einen Sturz zu verhindern. Ein Schrei wie von einem sterbenden Tier durchdrang mühelos die Wand zum Nebenzimmer.
    Der Gast in Nummer 5! Der hagere Mann im Raum nebenan, den sie nicht aus seinen Träumen zu wecken vermocht hatte!
    Ophelia Winterborn war keine Frau, die lange zögerte. Sie rannte aus dem Zimmer. Es überraschte sie nicht, keine Spur von der Managertochter zu sehen. Die würde sich weiter in ihre Klatschspalten vertiefen und so tun, als hätte sie nichts gehört.
    Ophelia riss die Tür von Nummer 5 auf.
    Der Gast lag auf dem Boden vor dem Bett, mit dem Gesicht nach unten. Das Oberteil seines Pyjamas war in Fetzen. Auf seinem nackten Rücken, etwa in der Mitte, saß ein schwarzes Ding, faustgroß. Sie hielt es für ein Geschwür, für irgendeine hässliche Krankheit. Bis sie sah, dass es sich bewegte.
    Von eigenständigem Leben erfüllt, rutschte es langsam an seinem Rückgrat hinauf. Dabei hinterließ es eine Spur aus geröteter, wundgescheuerter Haut. Der Mann, der nur gekeucht hatte, als sie ins Zimmer kam, stieß nun den zweiten dieser unmenschlichen Schreie aus. Die Schmerzen, die er haben musste, waren nur zu erahnen.
    Ophelias Arme hingen schlaff und zitternd herab. Für eine Minute war sie vollkommen hilflos, überfordert vom Anblick dieser unmöglichen wandernden schwarzen Pestbeule, und im Verlauf dieser Minute schrie der Gast vier Mal vor grenzenloser Pein, dazwischen kurze Pausen einlegend, in denen er nichts tat als Luft zu schöpfen. Und Kraft für den nächsten Schrei.
    Allmählich begann Ophelias Geist wieder zu arbeiten. Sie wusste, dass sie das geschwulstähnliche Ding nicht würde anfassen können. Aber sie wusste auch, dass sie es nicht übers Herz brachte, weiter zuzusehen, wie es den Mann quälte und möglicherweise tötete. Also brauchte sie ein Werkzeug. Sie lief zurück auf den Flur, wo sie einige ihrer Utensilien abgelegt hatte, darunter auch einen Wischmopp, mit dem sie die Nasszellen jener Zimmer auswischte, die über eine solche verfügten.
    Den Mopp in der Hand, kehrte sie zurück. Die schwarze Beule hatte jetzt den Nacken des Mannes erreicht. Er schien Versuche zu unternehmen, sich auf den Rücken zu drehen, doch offensichtlich fehlte ihm die Kraft dazu. Vorsichtig stupste Ophelia das Ding mit dem Griff des Mopps an. Es fühlte sich weich an. Als der Griff es berührte, verbiss es sich fester im Nacken des Gepeinigten. Dieser gab ein Heulen von sich, dem man anhörte, wie es durch eine raue, wundgebrüllte Kehle drang.
    „Was ist das?“, hauchte die Frau, mehr an sich selbst gewandt als an den sich am Boden windenden Gast.
    Doch dieser antwortete. „Hitler“, stöhnte er. „Luzifer … Napole-… on …“
    Kurzentschlossen packte sie den Mopp wie einen Speer. Und stieß von der Seite her zu. Sie dankte Gott, dass sie ihr Ziel traf. Der Geschwulst löste sich vom Nacken des Mannes und flog durch das Zimmer. Sofort war sie in der Zimmerecke, wo er aufgeschlagen war. Sie wartete nicht lange, ob das Ding Anstalten machte zu fliehen. Mit aller Kraft, die sie hatte – und das war nach zwanzig Jahren Putzarbeiten eine ganze Menge – hieb sie auf den dunklen Klumpen ein.
    Der Gast verfolgte das Geschehen aus tränenverhangenen Augen. Mühsam gelang es ihm, seinen Oberkörper ein wenig zu heben. Die Schmerzen zogen sich zurück, doch sein Leib war ausgelaugt, seine Muskeln wie Gummi.
    „Warte“, knirschte die Frau zwischen zusammengebissenen Zähnen, „mir fällt da etwas ein. Damit mache ich dir den Garaus.“
    Ophelia verschwand nach draußen, um etwas zu holen, und als sie kurz darauf in die Nummer 5 zurückkehrte, hatte der Gast sich bewegt. Er war durch das halbe Zimmer gekrochen und lag nun vor dem zerschmetterten Etwas, seine Hände tief in den schlammigen Klumpen gesteckt!
    „Was … tun Sie da?“, brachte Ophelia hervor.

11
    Sir Darren wusste es selbst nicht so genau. Als er zu sich gekommen war und begriffen hatte, wo er sich befand, sah er das schwarze Ding. Es weckte Erinnerungen in ihm, und er begann zu ahnen, wie alles zusammenhing. Der Klumpen zuckte noch. Bevor er sich Ruhe gönnte, musste er sicher gehen, dass er vernichtet wurde. Er wollte nicht warten, bis die Frau zurückkehrte. Und da er keine Waffe hatte, blieb ihm nur eines: Das Wesen mit den eigenen Händen zu zerreißen.
    Genau das tat er in diesem Moment. Er krallte sich im Inneren des schwammigen Etwas fest und zerfetzte es. Dabei erspürten seine
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