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Exzession

Exzession

Titel: Exzession
Autoren: Ian Banks
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große
Klippe, die Wolken und das Meer, die Dunkelheit des Himmels. Er
wanderte über die Wellen, das Marschland und die Wasserwiesen
unterhalb des Gerölls und der Klippe. Sie rieb sich
gedankenverloren den Bauch, wie sie es seit beinahe vierzig Jahren zu
tun pflegte, und grübelte über die Bedeutungslosigkeit der
Dinge nach und darüber, wie schnell Veränderungen eintreten
konnten, selbst bei etwas, das anscheinend für die Ewigkeit
angelegt war.
    Aber andererseits wußte sie nur allzugut, je mehr man sich
einbildete, etwas würde unendlich andauern, als desto
vergänglicher stellte es sich oftmals heraus.
    Plötzlich wurde sie sich überdeutlich ihrer Rolle, ihrer
Position hier bewußt. Sie sah sich selbst und den Turm vor
sich, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Schiffs;
außerhalb seines Hauptrumpfes – klar umrissen, eine
Erscheinung für sich, geradseitig und genau in Kilometern
gemessen –, aber innerhalb der gewaltigen Umhüllung aus
Wasser, Luft und Gas, die es innerhalb der mannigfachen Schichten
seiner Felder enthielt (sie stellte sich die Kraftfelder manchmal so
ähnlich wie die Reifröcke, Unterkleider, Pluderhosen,
Volants und Spitzen eines altertümlichen Festtagsgewandes vor).
Eine Schwarte aus Kraft und Masse, in einem riesigen Löffelvoll
Meer schwimmend, den größten Teil des wuchtigen Rumpfes
der Luft und den Wolken ausgesetzt, die die mittlere Schicht bildeten
und um die sich die Sonnenlinie jeden Tag bog, und alles
überkuppelt von dem langen, im Feld enthaltenen
Druckbehälter aus glühender Hitze, gewaltigem Druck und
zermalmender Schwerkraft, der die Bedingungen eines
Gasgigantenplaneten simulierte. Ein Raum, eine Höhle, eine hohle
Hülle von hundert Kilometern Länge, durchs All rasend, mit
dem Schiff als riesigem, abgeflachtem Kern. Ein Kern – eine
umschlossene Welt innerhalb dieser Welt –, in den sie seit
neununddreißig dieser vierzig unveränderten Jahre keinen
Fuß gesetzt hatte, da sie nicht den geringsten Wunsch
verspürte, diese unendliche Katakombe der schweigenden Untoten
jemals wiederzusehen.
    Alles sollte sich ändern, dachte Dajeil Gelian; alles sollte
sich ändern, das Meer und der Himmel würden zu Stein
werden, oder zu Stahl…
    Der schwarze Vogel Gravious ließ sich neben ihrer Hand auf
der steinernen Brüstung des Turms nieder.
    »Was ist los?« krächzte er. »Irgend was ist im
Busch, das merke ich. Also, was ist es? Worum geht es?«
    »Ach, frag doch das Schiff«, wies sie ihn ab.
    »Hab’s bereits gefragt. Es verrät nichts, nur
daß Veränderungen bevorstehen, wohl oder übel.«
Der Vogel schüttelte den Kopf, als ob er etwas Ekelhaftes von
seinem Schnabel wegschleudern wollte. »Ich mag keine
Veränderungen«, sagte er. Er legte den Kopf schief, um den
Blick seiner dunklen Perlenaugen auf die Frau zu richten. »Also,
welche Veränderungen sollen das sein, he? Was haben wir zu
erwarten? Worauf können wir uns freuen, he? Hat er dir was
gesagt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie,
ohne den Vogel anzusehen. »Nein, eigentlich nicht.«
    »Hm.« Der Vogel musterte sie noch eine Weile, dann
verdrehte er den Kopf wieder, um auf die Salzmarsch hinauszublicken.
Er sträubte das Gefieder und erhob sich auf seine dünnen
schwarzen Beine. »Also dann«, sagte er. »Der Winter
kommt. Hab keine Zeit zu verlieren. Muß mich vorbereiten.«
Der Vogel schwang sich in die Luft. »Es gibt ’n Haufen
Dinge zu tun…«, hörte sie ihn murren. Er breitete die
Flügel aus und flog in einer engen Kurve davon.
    Dajeil Gelian blickte erneut zu den Wolken und dem Himmel jenseits
davon hinauf. Alles sollte sich ändern, und das Meer und der
Himmel würden zu Stein werden, oder zu Stahl… Sie
schüttelte wieder den Kopf und fragte sich, welche extremen
Bedingungen das große Gefährt, das seit so langer Zeit
ihre Heimat und ihre Zuflucht war, so sehr erschüttert haben
mochten.
    Was auch immer; nach vier Jahrzehnten seines Zustands des
selbstauferlegten inneren Exils, seinen eigenen launischen Kurs in
einer auserwählten Wildnis steuernd, als Teil der Jenseitigkeit
der Zivilisation, und hervorragend als Verwahrungsort für
bewegungslose Seelen und sehr große Tiere dienend, hörte
es sich so an, als ob das Allgemeine Transport-System namens Sleeper Service wieder anfangen würde zu denken und sich
ein wenig mehr wie ein Schiff zu benehmen, das der Kultur
angehörte.

 
1 – Ein außerkontextuelles Problem
     
     
I
     
    (AKE Grauzone Signal-Sequenz Datei
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