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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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bestimmt wird von Eitelkeiten und Skandälchen, von Kindereien und Flirtereien, vom Herzeigen der mannigfaltigen Statussymbole, die vom schon gut entwickelten Busen oder Bartwuchs über Marken-Jeans bis hin zu einer möglichst großen Anzahl durchstochener Körperteile reichen. Wie oft man am Wochenende auf den Rasen der Nachbarn gekotzt hat – die Zeugen, die dem Kotzen beigewohnt und die Nach richt an Freunde und Nebensitzer weitergeleitet haben, können von ungeheurer Bedeutung sein und das eigene Image wunderbar aufpolieren: »Damien puked SEVEN TIMES , man, SEVEN TIMES …!«
    Nun habe ich das Glück (oder Unglück), ein Exot mit einer ganz beachtlichen Anzahl von Statussymbolen zu sein, und so kennt bald jeder das »german chick« mit den braunen Augen und den abgewetzten Jeans, das in dieser speziellen Nacht, als Damien siebenmal auf das Nachbargrundstück gekotzt hat, den Wodka für sich entdeckt hat, und von dem es heißt »she drinks like a sailor!«.
    Ich hatte mich wohl zu lange dagegen gesträubt zu akzeptieren, dass so ein bisschen Feuerwasser überhaupt irgendeine Wirkung auf mich haben könnte, was dazu geführt hat, dass ich die Flasche schnell, sehr schnell, geleert habe. Schnell genug, um während des Trinkens keine besondere Veränderung an mir feststellen zu können. Wer weiß, vielleicht bin ich ja immun dagegen, dachte ich noch, ohne zu bemerken, dass der Typ neben mir längst nicht mehr Matt war, was mich nicht davon abhielt, ihn weiterhin mit diesem Namen anzusprechen und ihm feierlich zu erklären »I want you to be my first«.
    Dann folgte ein harter Schnitt. Der Schnaps hat die Nacht verschluckt, restlos. Die Bilder sind ausgelöscht und kehren nicht wieder. Mein Talent zum Filmriss ist eine Entdeckung jener Nacht. Endlich etwas Nützliches, bei dem ich nur noch lernen muss, wie man es beherrscht, mit und ohne Hilfsmittel, über kurze oder lange Strecken, so wie ich es brauche. Mein Mittel gegen Angst und Zweifel und (später) gegen Lebendigkeit.
    Damien hat also siebenmal gekotzt und ich – ich schlage irgendwann die Augen auf. Ein Erwachen in der Fremde. Der erste Schock ist der, nicht in Deutschland zu sein. Vor mir dämmert die Umgebung herauf, der Raum öffnet sich. Ein Kellerraum mit Regalen und Wäschekörben. Ich habe auf den zusammengeschobenen Waschmaschinen- und Trocknerwürfeln geschlafen. Keine Ahnung, wie lange. 10 Stunden? 15? Die Uhr in mir hat keine Zeiger mehr. Ich stelle mich hin, mein Blick taumelt an mir hinunter, fällt auf eine mir bis dato unbekannte Boxershorts mit gelbem Smiley im Schritt. Mehr habe ich nicht am Leib.
    Am Montag bekomme ich die Quittung für mein Seemannsgebaren in Form von anerkennendem Schulterklopfen und bewundernden Blicken. Mein Mythos beginnt, sich zu formen, die Jungs vom runden Tisch schielen zu mir rüber. Wer mich noch nicht gekannt hat, kennt mich jetzt.
    Meine Panik, meine bösen Ahnungen und die verzweifelten, vergeblichen Versuche, mich an die Geschehnisse der gelöschten Stunden zu erinnern, erweisen sich als überflüssig. Was immer ich getan habe oder mit mir geschehen sein mag, es hält Matt nicht davon ab, mich weiterhin zu besuchen. Dann drehen wir die Heizung auf. Wir ziehen uns die T-Shirts aus und lassen uns vom Exmann meiner Vermieterin erschrecken, der sich wütend brüllend gegen die Zimmertür wirft: » The fucking paint is melting off the walls «. Auch ich schmelze dahin, allerdings nicht wegen Matt, sondern wegen Gavin Rosdale, der für uns singt:
    »I don’t wanna come back down from this cloud, it’s taken me all this time to find out what I need ⁠…«
    Später gleiten wir in Matts Auto, in dem uns niemand daran hindern kann, die Heizung voll aufzudrehen, durch eine Dunkelheit, die keine Laternen braucht; Mond und Schnee erleuchten die Straßen. Wir machen Besuche. Matt fordert mich zum Deutschsprechen auf, er mag den Klang. Damien lässt sich von ihm anstecken, und da er nicht nur kotzen, sondern auch singen kann, lässt er sich Song-Texte von mir übersetzen. »Under the Sea« wird zu »Unter dem Meer«. Ich kenne das Lied in- und auswendig, der beste Song in Disneys »Arielle, die Meerjungfrau«; besser ist nur noch die Punkcover-Version von Damiens Band – heute, mir zu Ehren, sogar mit deutschem Text. Ich stehe am Bühnenrand und ahne, dass meine Aufnahme und Eingliederung viel zu leicht, verdächtig reibungslos verlaufen ist. Wo ist der Haken, was ist der Preis, frage ich mich. Die Aufmerksamkeit, dick
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