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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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Die Fäden meines Glaubens hefteten sich an den schwarzen Mantel und füllten sich wie Arterien, durch die etwas Lichtes, Leichtes, ­Goldenes in mich hineintanzte, mich auflud , volltankte, und zugleich schwerelos werden ließ. Wir kannten uns. Meine Fragen, seine Antworten und das Nichtige von beidem.
    Wann schließlich meine Unruhe begann, ist nicht mehr auszumachen. In der Fir Street konnte ich schon lange nicht mehr still, geschweige denn ganz, ganz still liegen.

Pastor Leroy.
    Leroy Garrison ist Amerikaner. Ein Südstaatler, geboren und aufgewachsen in Louisiana. Sein überdehnter Kaugummidialekt, die Art, wie er die Vokale zwischen seinen Zahnlücken zu Schlagwörtern aufbläst und platzen lässt, prägt sich den Zuhörern ein, bleibt haften, und jede Geste, jeder Schritt verstärkt den Klebeeffekt.
    Die Predigt wird von seiner ausgeklügelten Choreografie begleitet. Den Bauch brav hinter dem Rednerpult versteckt steht er mit verschränkten Fingern und still gesenkten Lidern vor der Gemeinde, vom Scheitel bis zur Sohle gottesfürchtiger Diener des Herrn. Nach den ersten Sätzen schleicht er auf die Sitzreihen zu, dirigiert die eigene Stimme, peitscht sie vorwärts und lässt sie zu einem durchdringenden Fortissimo anschwellen. Die Absätze seiner Cowboystiefel drücken sich in den grauen Teppich wie in ­frischen Zement. Die Schäflein folgen seiner Spur quer durch die Bibelverse, lauschen seiner Rede und fürchten sein vorwurfsvolles Schweigen. Viele Hundert Widerhakenworte verfangen sich in ihrer Wolle und kletten sich fest.
    Plötzlich sieht er mich an. Die fleischige Trutzburg seines Gesichts zieren zwei blitzende Äuglein, aus denen er Blicke auf mich abfeuert, mich durchschaut, ertappt und enttarnt. Ich starre vergeblich zurück, pralle an seiner Oberfläche ab. Brillengläser, Cowboyhut, eine rosa Zunge, spitz wie seine Stiefel. Mehr lässt er mich nicht sehen.
    Nach dem Gottesdienst schüttelt er meine Hand, lässt sie mit einem »Hello there, little Miss!«, in seiner Pranke verschwinden. Das Schwarz seines Anzugs weitet meine Pupillen.
    So stehen wir uns gegenüber, die »little Miss« in Jeans und der »man in black«, ein Johnny Cash ohne Gitarre, der vom »Lake of Fire« singt.

4.
    Ich sitze auf rotem Samt im Geruch meiner Schwester. Unsere Schultern und Oberschenkel berühren sich sanft. Als die ersten Klaviertöne erklingen, fühle ich mich fast erleichtert, fast zu Hause. Wir teilen uns das Gesangbuch, die erste und zweite Stimme, teilen die Luft zum Atmen, teilen das alles schwesterlich wie früher unser Stockbett und die Aufmerksamkeit der Eltern.
    Die Lieder haben zu wenig Strophen. Ich wünschte, wir könnten ewig so stehen und unsere Stimmen aneinandergeschmiegt in jenen Raum hinausschicken, von dessen Herrlichkeit der Text erzählt; einfach stehen, mit aller Kraft gegen die Angst ansingen, den Kampf singend austragen bis zum Ende; singen, bis ich keine Stimme und keine Angst mehr habe, bis meine Knie nachgeben und meine Schwester mich nach Hause tragen wird; bitte; in eine Heimat, wo immer sie sein mag.
    Schon sind die Noten aufgebraucht und alles leergesungen bis zum letzten Klangtropfen aus dem Klavier, dessen Welle abflacht, sich verflüchtigt und verstummt. Die Pastorenfrau nimmt den Fuß vom Pedal. Kein Hall mehr für mich, nur Räuspern und Stühle­rücken und raschelnde Röcke beim Hinsetzen. Wir schweigen im Chor, die Stille begleitet den Solisten auf seinem Weg ans Rednerpult. Ich höre Leroys Stimme:
    »Everything in our physical world possesses certain qualities that make it what it essentially is. We recognize things not only by the characteristics that they possess, but also by those that they do not possess.«
    Das scheint der Gemeinde einzuleuchten. Hier und da nickt es neben mir.
    »You’re not likely to ever see a horse with antlers growing out of its head, or a deer with a trunk hanging from its face ⁠…«
    Er macht eine kleine Pause, will uns etwas Zeit geben, sicher gehen, dass das Pferd mit dem Geweih auch tatsächlich vor unserem inneren Auge erscheint. Während es an mir vorübertrabt, fährt er fort.
    »… if they did, they would be considered freaks of nature!« Wir werden aufmunternd angelacht. Nein, keinem von uns wächst ein Geweih aus der Stirn, wir sind keine Freaks und lächeln erleichtert zurück.
    »Today as we deal with the topic of hell, I want to talk about some of the things that will not be there ⁠…«
    Um mich her wird es still, sehr
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