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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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schließen und darauf, was die Geschehnisse innerhalb der hellhörigen Holzwände noch in meinem Innersten anrichten werden.
    Die korrekte Bezeichnung für ein Gebäude dieser Bauart erfahre ich erst später. Sie lautet »Trailer«, was so viel bedeutet wie »billiges, minderwertiges, in Leichtbauweise zusammengezimmertes Möchte­gern-Haus, welches auf Lastwagen verladen und in andere Städte, Bundesstaaten oder Länder verfrachtet werden kann«, im übertragenen Sinn: »Unterschicht«.
    Im Oktober 2000 blieb der Trailer an Ort und Stelle. Kein Last­wagen-Schlachtschiff mit einem bärtigen Fernfahrer namens Ahab verhinderte rechtzeitig, dass ich meiner Schwester in den Bauch dieses weißen Ungetüms, halb Haus, halb Wohnwagen, folgte, wo ich Pastor Leroy kennenlernte. Keine Warnung vor dem Erlöser, keine Rettung vor dem Retter. Und so lernte ich das Haus, das kein Haus, sondern ein Trailer ist, sich aber nicht Trailer, sondern »Trinity Baptist Church« nennt, auch von innen kennen.
    Ich bin in Süddeutschland umgeben von Barockkirchen mit ­Zwiebeltürmen aufgewachsen, wurde vor einem marmornen, endlos verschnörkelten, mit Blattgold verzierten Hochaltar katholisch getauft, umsorgt von fetten Pfarrern, Putten und Verwandten. Folglich hätte ich in diesem fensterlosen Bau alles erwartet, nur keine Kirche.
    Was ich mir vom Kirchgang erhoffte, waren ein paar Stunden Gesellschaft und die Nähe meiner Schwester, die die Fahrt in die Stadt bald nur noch mittwochs und sonntags auf sich nahm, den beiden Tagen, an denen Gottesdienste abgehalten wurden.
    Wir stehen in diesem kleinen, fensterlosen Raum: meine Schwester, mein Schwager und ich. Neben, vor und hinter uns etwa zehn, an gutbesuchten Tagen fünfzehn, weitere Gemeindemitglieder. Die jungen Frauen tragen Haare und Röcke lang, die Anzüge der Männer sitzen schlecht. Die meisten tragen Turnschuhe. Die Kombination Schildmütze und Sportschuhe zu Krawatte und Anzughose scheint hier en vogue zu sein. Die wenigen Indianer – keiner spricht von ihnen als »Angehörige der First Nations«, Diskriminierung hin oder her – bilden eine eigene Gruppe. Offensichtlich halten sie es für überflüssig, sich für den »service« herauszuputzen, tragen ausgebeulte Jeans und speckige Lederjacken. Vorne stehen ein kleines Klavier aus hellem Holz, ein Rednerpult und eine Art transportabler Swimmingpool, der mit einem Plastikdeckel verschlossen ist und an Tupperware erinnert; man erklärt mir, dies sei das Taufbecken. Der spärliche Blumenschmuck ist genauso unecht wie der Schmuck der Frauen. Die monströsen Haargummis, die die Pferdeschwänze zusammenhalten, sind ebenso wie die roten Bezüge der Stühle aus Kunstsamt.
    Die Anwesenden wissen nicht recht, wohin mit ihren Händen, blicken verschüchtert auf ihre Schuhspitzen. Werden sie angesprochen, so bemühen sie sich um ein offenes Lächeln und ein möglichst einladendes, freundliches und mitfühlendes Gesicht.
    Susanna, eine junge, dauergewellte Weiße, reicht mir zur Begrüßung eine Hand, die wie ein kalter Fisch in meine Handfläche gleitet und nicht auf meinen Druck reagiert. Worte wie »Schicht« und »Klasse« steigen in mir hoch, ich fühle mich nicht dazugehörig, kein neues Gefühl für mich, sondern ein allgegenwärtiger Zustand, mit dem ich mich, seit ich denken kann, herumschlagen muss. Einsamkeit war zu allen Zeiten mein Motor, und so betrete ich diese Kirche mit wirbelnden Kopfrädchen in der höchsten Umdrehungs­frequenz.
    Wenn man erst ein-, zweimal menstruiert hat, kann man noch glauben wie ein Kind; man träumt noch von allem Möglichen und davon, dass alles möglich ist, unterhält sich nachts mit »Gott« und vertraut auf dessen spontane Eingebungen, wenn man wieder einmal unvorbereitet in eine Klassenarbeit geht.
    Man zählt Straßenlaternen, Knöpfe und Gänseblümchenblätter genauso ernsthaft und andächtig wie die Kugeln im Rosenkranz, und ob man nun den Fingerring dreimal dreht oder sich am Portal der St. Johann Kirche dreimal bekreuzigt, ist völlig einerlei, denn beides sind heilige Handlungen, beides könnte das Gewünschte herbeiführen, auf beides hofft man inständig.
    Wenn ich damals ganz, ganz still lag und mit ihm sprach – ich werde nicht sagen, mit wem, sein Name war niemals wichtig, nicht für mich – wenn ich also dalag, die Sinne geschärft, Poren und Stirn geöffnet, dann konnte ich ein Netz aus Gedanken bis hinauf in die Unendlichkeit weben, mit Bett, Körper und Kopf an seinem Ort.
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