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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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die Dialoge der Sitcoms nach – ehrgeizige Bemühungen, meinen »german accent« auszumerzen. Fernsehschauen ⁠… Eine Beschäftigung, die Untätigkeit und stilles Sitzen mit sich bringt, und damit Traurigkeit sowie ein überdeutliches Bewusstsein meiner Einsamkeit und Hilflosigkeit .
    Im Versuch, diese unerwünschten Gefühle niederzubrennen und die Isolationshaft, in die ich da geraten bin, erträglicher zu machen, entfache ich kleine, wütende Feuer; sprinte hitzig zwischen Zimmer und Bad hin und her, springe an die Zimmerdecke, putsche mich tüchtig auf und bearbeite mein Kopfkissen mit Faustschlägen. Ich vermesse die Längen und Breiten des Zimmers in Fuß- und Handlängen, dusche mehrmals täglich brandheiß-eiskalt-brandheiß-eiskalt und rede mir ein, es ginge mir nur um Abhärtung und Stärkung der Abwehrkräfte.
    Leider fällt mir, nachdem ich mich mehrmals durch diesen Parcours gehetzt habe, doch wieder ein, dass, selbst WENN ich auf die Straße ginge, ich außer dem Supermarkt keine weitere Anlaufstelle hätte, und bei den gerade herrschenden Temperaturen jeder Fußmarsch länger als 15 Minuten ohnehin Selbstmord wäre.
    Apropos Supermarkt. Da ich weder geübt, noch besonders gut darin bin, mich selbst zu versorgen, kaufe und ernähre ich mich fast ausschließlich von runden Brötchen mit Loch in der Mitte. Eine Tüte Kringelbrötchen (die Kanadier sagen »Bagels«) deckt meinen Nahrungsmittelbedarf für mehrere Tage. Von wegen »der Mensch lebt nicht vom Brot allein« ⁠…
    Wenn im gelben Haus im braunen Zimmer die Vesperzeit anbricht, stelle ich mir vor, wie meine Ration Brot und Milch durch eine Luke geschoben wird, wie es milchig aus dem Blechbecher schwappt und das Kringelbrötchen aus der Tellermitte rutscht: Der ­Wärter hat das Tablett eine Idee zu fest mit dieser kleinen automatischen Bewegung aus dem Handgelenk, in die er all seine Verachtung für mich legt, geschubst. Bevor er zur nächsten Zelle weitergeht, spuckt er aus. Ich kenne das Geräusch.
    Im Übrigen fühle ich mich in der Fir Street zwar einsam, bin jedoch nicht allein. Meine Vermieterin, eine 60-jährige, leicht reizbare, optisch reizlose Frau mit Lippenstift auf den Zähnen und geschmackloser Perücke, betreibt tagsüber in den angrenzenden Zimmern ein Daycare und durchschnüffelt, während ich in der Schule bin, leidenschaftlich gern meine Sachen. Sie kann mich oder die Tatsache, dass ich ein junges Mädchen bin, nicht ausstehen und wirft mir giftige Böse-Stiefmutter-Blicke zu. Im Nachhinein frage ich mich, warum sie mir das Zimmer überhaupt vermietet hat.
    Deshalb plagt mich kein schlechtes Gewissen, als ich an Halloween einige Handvoll Süßigkeiten aus ihrer Küche stehle und ihre Brownies vorsichtig mit dem Brotmesser beschneide – jeden einzelnen um wenige Millimeter, für den Fall, dass sie sie insgesamt abgezählt haben sollte.
    Ich verbringe die Nacht zwischen den Spielsachen fremder Kinder. Puppen sind Zeugen mit weit aufgerissenen Glasaugen, wie ich meine schmelzende Beute vernichte; sie reißen ihre obszönen Plastikmünder auf und bleiben doch stumm. Meine Finger sind braun und klebrig.
    Im Zimmer, an den Händen, im Magen: braune Völle all überall. Ich wünschte, ich hätte mich mit Milch und Lochbrötchen begnügt; beides ist rein und kalt und weiß – wie der Schnee vor meinem Fenster. Jetzt sitze ich da, besudelt mit der Schokolade einer neidischen, geldgierigen Alten.
    »Hast du dich dennoch von Leckerbissen verführen lassen, steh auf, erbrich sie, und du hast Ruhe ⁠…«, so heißt es doch!
    Ich stehe also auf und befolge, gute Christin, die ich bin, erst den Bibel­ratschlag, bevor ich mich erschöpft ins Bett fallen lasse.

3.
    Die Fir Street ist nicht besonders lang, vielleicht 1000 Meter, und wird nur von einer einzigen Querstraße, der 14th Avenue, durchschnitten. Das Holzhaus mit dem braunen Zimmer sitzt an der Ecke und markiert den Schnittpunkt gelb. Wenn ich die 14th Avenue überquere und der Fir Street in südlicher Richtung folge, befinde ich mich nach weniger als hundert Schritten vor einem weißen, länglichen Gebäude mit Flachdach, von dem man annehmen könnte, es sei fensterlos, bis man bei genauerem Hinsehen am äußersten Rand des gestreckten Rechtecks schließlich ein einzelnes, kleines Fenster entdeckt. Vor Jahren wurde das Gebäude an den Straßenrand geschwemmt, jetzt liegt es da wie ein gestrandeter Wal, einäugig, angegraut, schäbig. Nichts lässt auf sein Innenleben
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