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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift
Autoren: Andreas Eschbach
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Übungen mit ihm zu machen: ihm die Beine zu schienen und ihn zusammen mit einem Helfer auf die Füßezu stellen; oder ihm behutsam mit dem Finger den Mund zu öffnen, um sein Zahnfleisch, die Zunge und das Innere der Wangen zu berühren. Damals hatte sie sich das nicht eingestanden, aber sie hatte oft das grausige Gefühl gehabt, an einem Leichnam herumzuhantieren, einen seelenlosen Körper zu umsorgen. Es hatte sie in ihren Träumen verfolgt, doch es wäre ihr wie Verrat vorgekommen, jemandem davon zu erzählen.
    Der Stationsarzt war immer noch Doktor Röber. Der asketisch wirkende Mann schüttelte ihr die Hand, ohne jeden Vorwurf über ihre lange Abwesenheit, und sie mußte wieder einmal denken, daß er eher wie ein Mönch wirkte als wie ein Arzt und daß der weiße Mantel an ihm aussah wie das Gewand eines seltsamen Ordens.
    »Es ist ein Wunder«, sagte er.
    Evelyn nickte. »Kann ich ihn sehen? Ist er ... ansprechbar?«
    Doktor Röber zögerte. »Ich habe Ihnen ja am Telefon gesagt, daß man nicht erwarten darf, daß jemand nach so langer Zeit aus dem Koma erwacht und geistig sofort – na ja ...« Er suchte Zuflucht zu einer vagen Handbewegung. »Ihr Mann hat mit Identitätsproblemen zu kämpfen. Wobei ich glaube, daß sich das im Lauf der Zeit geben wird, ganz von selbst.«
    Sie spürte wieder jenen wehen Schmerz in der Brust, mit dem sie aus dem Auto ausgestiegen war. »Kann ich ihn jetzt bitte sehen?«
    »Ich dachte nur, es ist besser, ich warne Sie vor.«
    »Liegt er noch in Zimmer 62?«
    »Kommen Sie.« Er ging voraus, öffnete ihr die Tür.
    Sie hatte sich – am Anfang zumindest, ehe sie aufgehört hatte, sich solche Hoffnungen zu machen – oft gefragt, wie es sein würde in dem Moment, in dem sie ihm wieder gegenüberstehen und er wieder bei Bewußtsein sein würde. Nun,da es geschah, war es fast ein Schock. Er saß in seinem Bett, aufrecht, genau so, wie sie ihn in Erinnerung zu behalten versucht hatte, und doch ganz anders, ganz fremd.
    »Bernhard«, sagte sie.
    Er sah sie an, als müsse er überlegen, wer sie war. Vielleicht mußte er das tatsächlich. Aber dann sagte er: »Evelyn. Du bist Evelyn.« Es klang distanziert, als sei er nach dem Namen eines Sternbilds gefragt worden, aber sie glaubte dennoch, ihr Herz aussetzen zu spüren, als er ihren Namen sagte.
    »Ja«, nickte sie töricht. »Ich bin Evelyn.« Sie setzte sich auf den Bettrand, mußte den Blick abwenden von dem jungen Mann im anderen Bett, der mit verkrümmten Händen und leeren Augen herüberstarrte.
    »Wo ist Theresa?« fragte Bernhard. »Wir haben eine Tochter namens Theresa, oder?«
    »Ja. Es geht ihr gut. Sie ist in der Schule. Sie geht inzwischen in die Schule, weißt du?« Wie blödsinnig glücklich es sie machte, daß er sich an seine Tochter erinnerte!
    Er sah sie an. Der Blick seiner Augen war fremd, ratlos, aber es waren immer noch die Augen, in denen sie sich einst gespiegelt hatte. In einer Zeit, die ihr unwiederbringlich zu sein schien – obwohl ...
    »Ich erinnere mich an die Geburt«, sagte er in einem Ton, als wundere ihn das. »Ich erinnere mich auch daran, wie ... wir sie gezeugt haben.« Ein erstaunter Glanz in seinen Augen. »Wir haben das ziemlich oft gemacht, oder?«
    Evelyn sah verlegen auf ihre Hände, dann auf seine Hände, mußte an eine Vollmondnacht denken, eine heiße Nacht voller Zikadenklang, in der die Luft den Schweiß nicht von der Haut zu trocknen vermocht hatte, und daran, was diese Hände ... Sie griff nach ihnen, fühlte das Leben darin.
    »Ziemlich oft«, flüsterte sie.
    »Es ist eigenartig, daran zu denken«, sagte Bernhard, als gestehe er ein Vergehen.
    Ich habe ihn zurückbekommen , das war alles, was sie denken konnte. Sie beugte sich vor, umarmte ihn, fühlte den vertrauten Körper, der nur nach fremder Seife roch.
    »Ich muß dir ein Geheimnis anvertrauen«, flüsterte Bernhard ihr mit unvermuteter Dringlichkeit ins Ohr.
    »Erzähl es mir, wenn wir zu Hause sind«, flüsterte Evelyn zurück.
    Fortsetzung folgt ...

29. Oktober 2001
In Marrakesch beginnt die 7. Weltklimakonferenz, auf der konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des »Kyoto-Protokolls« mit dem Ziel der weltweiten Reduzierung klimaschädigender Emissionen vereinbart werden sollen.
    1. November 2001
Nach mehreren Milzbrand-Fällen in den USA tauchen erstmals auch in Europa Anthrax-Erreger auf.

6. November 2001
In Madrid explodiert eine Autobombe und verletzt 100 Menschen, viele davon schwer.
    7. November 2001
Die belgische
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