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Exodus

Exodus

Titel: Exodus
Autoren: DJ Stalingrad
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Augen auf und sah über mir Fedja, er hielt einen
Eisenknüppel in der Hand und vertrieb das Pack. Ich und noch ein
paar andere, die auf dem Asphalt lagen, wir standen auf, waren alle
blutüberströmt, bauten uns mit den Armierungseisen in einer
Reihe auf und luden zur Fortsetzung der Party ein. Doch eine zweite
Attacke gab es nicht, sie hüpften noch ein wenig vor uns rum und
brüllten, aber dann zogen sie sich zurück. Alle fünfzig,
total unverständlich. Vielleicht waren die Wichser völlig
platt und hatten keinen Plan, was sie nun anstellen sollten.
    Am
schlimmsten hatte es Serjosha erwischt – der ganze Kopf, das
Gesicht, die Kleidung, alles voller Blut. »Hey, schaffst dus
noch nach Hause?« »Geht schon. Nur meine Frau wird
ausflippen, und die Kinder erst ... Papa ist wieder da ...«
    Sie
haben uns betrogen, die Schlauköpfe und reichen Säcke. Uns,
Tausenden von Krüppeln, Armen und Dummen, haben sie gesagt, dass
wir vieler Dinge würdig sind. Dass wir etwas Großartiges
schaffen können oder zumindest etwas Gutes. Der eher Dumme etwas
Großartiges, der eher Feige zumindest etwas Gutes. Sie haben
uns gespalten und von uns Besitz ergriffen. Jetzt benutzen sie uns
für ihre Ziele, die großartigen und wohlbedachten. Damit
sie ihre Talente entwickeln, damit sie ihre Kraft steigern. Die
Schlauköpfe und die reichen Säcke.
    Doch
alles ist wie früher, nur keine Illusionen. Die Krüppel
sind erschaffen, um zu leiden, die Armen, um zu ackern und zu
überleben. Das ist so einfach wie das Einmaleins. Kranke sind
erschaffen für Krankheiten, Waisen für Kinderheime, Rentner
fürs Alter, Behinderte für Qualen, Narren fürs Lachen.
Alles das Gleiche und ganz einfach, ich brauche nicht eure Märchen
und Phantastereien, zusammengesponnen aus dem Nichts. Das haben sich
alles die Schlauköpfe ausgedacht, die mit den Businessplänen
und iPhones, Talenten und Stipendien, sie belächeln euch und
sehen zu, wie ihr herumkrebst und euch tröstet. Das Paradies
gibts nicht und wirds nie geben, vergesst den Scheiß.
    Kommt,
wir stellen uns die Welt mal neu vor – es gibt nichts. Ihr seid
ein Stück lebendes Fleisch im Viehstall, nicht klug, nicht
begabt, nicht reich, nicht gesund. All diese maßgeblichen
Faktoren sind von Geburt an in einem angelegt, es ist nichts zu
ändern an euren Genen, dem sozialen Status eurer Familie oder
der Erziehung in den ersten anderthalb Jahren eures Lebens, in denen
sich nun mal eure Persönlichkeit herausbildet. Eure Gene und die
Geschichte eures Vaterlandes birgt eine toxische Ladung, die euer
gesamtes zukünftiges Leben vergiften wird. Bedankt euch ruhig,
dass ihr nicht mit einer Hasenscharte oder ohne Arme und Beine
geboren seid (solche Leute gibt es in Massen, das wisst ihr selbst).
Diesem Unglück seid ihr entronnen, Gott sei Dank. Nun sollte
eure Hauptaufgabe für den Rest des Lebens im Streben danach
bestehen, der extremen Widerlichkeit von Schmerz und Wahnsinn zu
entrinnen, die das großzügige Schicksal auf eurem Weg im
Überfluss verstreut hat. Genau darum geht es und nicht etwa um
den Aufbau einer besseren Welt, die Entwicklung von Talenten, die
Selbstverwirklichung in Wissenschaft und Kunst, den Erwerb von
Reichtum und Blüte. Ihr habt und hattet nie die geistigen wie
finanziellen Ressourcen für all das, das ist Humbug. Wie viel du
auch arbeitest, besteht dein Erfolg bestenfalls im Kauf eines Ladas.
Künstlerisches Schaffen? Alles was du schaffen kannst, sind
Schwachsinnigkeiten, wie du selber eine bist. Alles, was du im Leben
wirklich erreichen solltest, ist, nicht als Penner,
Schwerbehinderter, offensichtlich Wahnsinniger zu enden und dann
schnell und ohne Qualen zu sterben. »Herr, gib uns einen Tod
ohne Schmerz und Schmach.«
    Schaut
man noch genauer hin, wird die Situation noch klarer und
unverhohlener. Hier, das ist unser Leben, wir können nicht
einfach im Gleichgewicht bleiben, nicht krank werden, nicht arm
werden, nicht leiden. Das Wohl des Zen erlangen wir nur mit
zusammengebissenen Zähnen. Wir sind krank, bettelarm, am Ende
werden wir alt, plus wir sind von einer unwirtlichen Natur umgeben
und einem Haufen Idioten. Wir können uns nicht davon fernhalten,
so sehr wir uns auch bemühen, früher oder später
landen wir im Knast, kriegen einen Schlaganfall, eine
Prostataentzündung, werden von anderen Gebrechen heimgesucht.
Wir werden entlassen, beleidigt, vergewaltigt, geschlagen, verraten,
zu Hause gequält, auf der Arbeit, von Kollegen, der Familie,
Freunden, Feinden,
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