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Exodus

Exodus

Titel: Exodus
Autoren: DJ Stalingrad
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hin war sein ganzer Körper
ein blutiges Stück Fleisch. Er wurde mit dem Notarztwagen
abtransportiert oder verhaftet, je nachdem, wie rabiat er die
Zuschauer zugerichtet hatte.
    »Ihr
seid alles Milchbubis, feige Säcke, ich hasse euch, ihr Hunde!«,
rief er seinen Fans und der gesamten menschlichen Rasse zu, »ihr
könnt nichts, ihr Jammerlappen! Versucht mal einen Tag zu leben,
wie ich die letzten Jahre gelebt habe: die Hälfte der Zeit in
Krankenhäusern, die andere Hälfte hinter Gittern. Ich
brauch mich nicht zu schämen.«
    Er
drückte sündhaft viel Heroin, immer wieder holten ihn die
Ärzte aus dem Jenseits zurück, sie hasste er wahrscheinlich
am meisten. Die übrige Welt des Rock’n Roll fürchtete
Allin, er wurde nie eingeladen, wenn er auf einer Party auftauchte,
bedeutete das Ärger. Ein paar Mal lud man ihn ins Fernsehen ein,
er kam mit einem Nazihelm, halbnackt, auch die Interviews endeten
nicht so gut.
    Allins
Armee von Fans wuchs immer weiter. Das war der schlimmste Abschaum
der Welt des Rock’n Roll. Perverse, neurotische Junkies,
Deppen, Krüppel, verhaltensgestörte Jugendliche. Er führte
sie geradewegs ins Paradies des Verfalls, und sie beteten ihr Idol
an. »Mein Verstand ist ein Maschinengewehr, meine Hände
die Patronen und ihr das Ziel!«, brüllte er sie an, bevor
er den soundsovielten Idioten aus der ersten Reihe brutal
zusammenschlug. Er vergewaltigte Mädchen direkt vor den Augen
ihrer Freunde und nannte es das richtige Vorgehen. Zum Schluss verlor
er total den Verstand – ein zugedröhntes, fettes Ungeheuer
aus der Unterwelt, erfüllt von allumfassendem Hass, voller
fauliger Tattoos, Blut und Scheiße.
    Schließlich
zeigte ihn eine Frau an, eines seiner Opfer, und Allin wanderte für
zwei Jahre in den Knast. Während er saß, erreichte seine
Popularität ihren Höhepunkt, es wurde sogar ein
Dokumentarfilm über ihn gedreht. Zurück in der Freiheit,
fing er sofort wieder an zu drücken und gab ein Konzert, bei dem
er den gesamten begeisterten Saal durchfickte. Gemeinsam zerlegten
sie die Anlage, Allin ging mit einem Haufen Fans nackt auf die Straße
und zog durch die nächtliche Stadt, schlug auf dem Weg Passanten
zusammen. Dann brachten sie ihn in ein Hotel, er setzte sich noch
einen Schuss und starb. Fans ließen sich den ganzen Tag mit
seiner Leiche fotografieren, sie dachten, dass er einfach weggetreten
ist ...
    Er
wurde beerdigt, wie er war – halbnackt in Boxershorts,
Lederjacke und dunkler Brille, sein ganzer Körper war
verstümmelt. Nach seinem Tod machten sie ihn zu einer
kommerziell erfolgreichen Kultfigur, Allins Bruder gründete eine
neue Band mit demselben Namen, fand einen neuen Sänger und tourt
um die ganze Welt. Als sie in dem finnischen Städtchen spielten,
in dem der Rote Ljoscha in der Emigration schmachtet, hat er Allins
Bruder beim Tischfußball zusammengeschissen und ihn zur Strafe
Wodka kaufen geschickt.
    Wir
sind das, was wir in uns reinschütten. Wodka, Bier, Drogen,
Kaffee, Tee, Zucker – all das beeinflusst unseren Zustand, uns
als Person. Wir verbringen keinen Tag ohne diese kleinen
Modifikationen, Kurskorrekturen, etwas, das uns stärker,
aktiver, klüger, glücklicher macht. Wir sind das, was wir
trinken. Ein Sufi-Asket sagte, dass es nichts bringt, seinen Kopf mit
komplizierten Formeln oder Gedanken vollzustopfen, echte Bedeutung
fürs Leben hat nur das, was du isst. »Wählerisch bin
ich nur beim Essen.«
    Wir
trinken Angst, Hunger, Freude, Hass, Krankheiten, Musik, Sex,
schlechte Erziehung und miese Erbanlagen. Wir schlucken all das von
Geburt an, und es macht uns zu denen, die wir sind.
    Setzen
wir eine weiße Labormaus in einen Käfig mit zwei Kammern.
In den Boden der einen kann man Strom leiten, in den anderen nicht,
zwischen ihnen ist eine Wand mit einem Loch. Die Maus wird in den
Teil mit dem Strom platziert, der Knopf wird gedrückt. Ein
leichter, aber schmerzhafter Schlag trifft das Tier wieder und
wieder, in Panik findet die Maus die rettende Öffnung und rennt
in den besseren Abschnitt. Alles ist in Ordnung.
    Nun
noch mal das gleiche, wieder zwei Kammern, wieder Stromschläge,
aber diesmal gibt es in der Scheidewand keine Öffnung, als wäre
nie eine dagewesen.
    Der
Strom wird eingeschaltet, die Maus rennt hastig durch den Käfig,
klettert die Wände hoch, sucht den Ausgang, doch es gibt keinen.
Ihre verzweifelten Versuche gehen noch einige Minuten weiter, aber
schließlich fällt das Tierchen kraftlos auf den Boden des
Käfigs und wird
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