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Ewig

Ewig

Titel: Ewig
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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Abtei Ehre gemacht hätte.
    Der Hirtenhund legte sich wieder zurück, rollte sich zusammen und versteckte seine Schnauze unter den Hinterpfoten. Sina leerte seine Teetasse und griff zu einem dicken, in rotes Leder gebundenen Buch, auf dem in großen goldenen Lettern »Symbolik der mittelalterlichen Herrscher-Monogramme« stand. Er ahnte noch nicht, dass eines dieser Monogramme ihn bald zu einem der meistgejagten Männer Europas machen würde.

Kapitel 2 – 9.3.2008
Grub, Waldviertel/Österreich
    P aul Wagner sah ihn kommen und hätte ihn beinahe nicht erkannt. Der Reporter lehnte an einem Stehtisch mit geblümter Plastiktischdecke, in einem jener skurrilen Geschäfte, die es als »Gemischte Warenhandlungen« nur mehr im österreichischen Waldviertel gab. Bei diesem hier fehlte das »W« seit langen Jahren, es war eines Tages von der Hausfassade abgefallen und nie wieder ersetzt worden. So war es eine »arenhandlung« geworden, was aber niemanden störte, der hier einkaufte.
    Das Angebot war umfangreich, um es vorsichtig auszudrücken. Es reichte von rosa Liebestötern bis zu hölzernen Mausefallen, von frischem Gebäck bis zu Zahnpasta mit roten oder blauen Streifen. In einem Eck hatte die Besitzerin des Ladens vor langen Jahren einen Stehtisch aufgestellt, der wohl den Absatz von Kaffee und Kuchen hätte fördern sollen. Nach kurzer Zeit jedoch war er mit Stapeln von alten Zeitungen und Prospekten übersät gewesen, die niemand mitnahm oder die andere einfach weggeworfen hätten. Aber in Orten wie diesem warf man nichts weg. Alles war irgendwann einmal brauchbar.
    Paul suchte auf der runden Tischplatte einen Platz für seine Kaffeetasse und fand keinen. So hielt er sie in der Hand, während er den ankommenden Georg Sina durch die blinden Auslagenscheiben des Ladens beobachtete. Er ist alt geworden, dachte er sich und überraschte sich dabei, an die gemeinsame Schulzeit in Wien zu denken, als das Leben noch vor ihnen lag und die Tage endlos schienen.
    Sina und er waren unzertrennlich gewesen und auch nach dem Abitur trennten sich ihre Wege nicht oder nur kurz. Sie studierten an derselben Universität im Zentrum der Stadt, schräg gegenüber des weltberühmten Burgtheaters. Im Café nebenan kellnerten sie beide, um sich das Studium zu finanzieren. Sina hätte es nicht nötig gehabt, mit einem leitenden Polizeibeamten als Vater. Aber da Paul das Geld brauchte, machte er einfach mit. Sie waren wie die zwei Seiten eines Blattes gewesen bis … Paul schluckte. Bis zu jenem warmen Sommertag vor drei Jahren, der ein Leben genommen, eines zerstört und eines für immer gezeichnet hatte. Er horchte in sich hinein. Es tat immer noch weh, gab ihm einen Stich ins Herz.
    Sina war inzwischen abgestiegen und band seinen braunen, glänzend gestriegelten Haflinger vor dem Laden an, nahm die beiden Packtaschen ab und trat in das Geschäft. Er trug einen alten Rollkragenpullover und eine fleckige Jacke darüber. Die Jeans war ausgebeult und steckte in Stiefeln, die seit Jahren keine Bürste mehr gesehen hatten. Er nickte der Besitzerin des Ladens zu, reichte ihr seine Einkaufsliste über die Theke und wollte sich an seinen Stammplatz, den Stehtisch, hinter die Papierstapel zurückziehen, als er Paul sah und mitten in der Bewegung reglos verharrte.
    Er schaute Paul an und zugleich durch ihn hindurch, wie durch einen Geist aus einer längst vergangenen Zeit. In dieser seiner Welt hatte Paul keinen Platz mehr, weder als Freund noch als der Eindringling, der er jetzt war. Dies war die Wirklichkeit, keine klischeehafte Reportage. Nichts und niemand hatte das Recht, in das von ihm geschaffene Universum vorzustoßen. Er hatte niemanden eingeladen, würde es nie und selbst wenn, dann wäre Wagner der Letzte.
    Eine Verkäuferin machte sich im Hintergrund des Ladens zu schaffen, um die Waren für Sina zusammenzusuchen, und der Reporter hatte den Eindruck, die Zeit würde plötzlich stehen bleiben, so wie Georg Sina, unvermittelt und scheinbar für immer. Der Wissenschaftler rührte sich nicht, stand da wie zu Stein erstarrt.
    Paul fragte sich, ob Sina ihn überhaupt wahrgenommen hatte.
    »Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst«, setzte der Reporter leise an, wie zu sich selbst sprechend. »Du hast dir oft genug gewünscht, ich wäre tot, gestorben an ihrer Stelle. Aber das macht sie nicht wieder lebendig, Georg.«
    Sina schaute ihn zum ersten Mal wirklich an, schaute direkt in seine Augen und Paul erschrak. Sie waren stahlblau und hart,
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