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Evies Garten (German Edition)

Evies Garten (German Edition)

Titel: Evies Garten (German Edition)
Autoren: K.L. Going
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Moment bewegte sich dort eine Gestalt zwischen den Grabsteinen.
    »Nein«, sagte sie trotzig. »Das kann ich nicht.«
    Sie wand sich aus dem Griff ihres Vaters und rannte zur Haustür hinaus.
    »Evie!«, rief Vater ihr nach, doch sie ignorierte ihn. Stattdessen lief sie hinaus und folgte mit den Augen der einsamen Gestalt, die sich vom Haus entfernte. Es war der Junge, den sie bei der Beerdigung gesehen hatte. Sein dunkler Umriss wurde immer kleiner, bis er schließlich ganz zwischen den Bäumen verschwand. Evie blieb am Rand der Veranda stehen. Sie schlang die Arme um sich selbst. Sie fröstelte trotzdem, und wünschte sich von ganzem Herzen, wieder zu Hause zu sein.
    »Evie, komm ins Haus zurück!«
    Vater stand im Türrahmen, doch Evie rührte sich nicht. Sie wollte nicht hineingehen in das Haus mit den rissigen Wänden und den staubigen Möbeln. In dieses Haus im Bundesstaat New York. In ein Haus neben einem Friedhof, der nicht Moms Friedhof war. Tränen stiegen in ihr hoch und die Kälte brannte in ihren Augen. Sie lauschte dem Wind, der von den Bergen herunterblies. Sie schüttelte den Kopf, und in ihrem Mund war ein salziger Geschmack.
    »Mom«, flüsterte sie, »warum hast du mich nicht mitgenommen?«
    Evie hoffte, im traurigen Gewimmer des Windes eine Antwort zu hören. Sie wischte sich mit dem Mantelärmel die Tränen aus den Augen und blieb still stehen, während sie auf Worte wartete, die nicht kamen.

Morgen
    Den Rest der Woche wartete Evie darauf, dass ihr Vater das Telefon und den Fernseher anschloss und endlich mehr als das Nötigste auspackte. Doch außer den Decken und der Kleidung blieb alles in den Kisten auf dem Wagen. Stattdessen ging er jeden Tag bei Sonnenaufgang hinaus und blieb fast den ganzen Tag draußen unter den Bäumen.
    Zu Hause hätte Evie gemalt oder Bücher gelesen oder mit ihrem Freund Lawrence auf der Straße gespielt. Hier blieb sie lange im Bett. Sie saß stundenlang vor dem Küchenfenster, hatte das Sterbebildchen in der Hand, das Maggie ihr gegeben hatte, und hielt nach dem fremden Jungen Ausschau. Manchmal war er schon da, wenn sie die Treppe hinunterkam, manchmal tauchte er wie eine Erscheinung kurz aus dem Nebel auf, doch er war immer zu weit weg, als dass sie ihn deutlich hätte erkennen können. Zweimal wäre sie beinahe zu ihm hinausgegangen, aber jedes Mal hatte der Mut sie vorher verlassen. Sie glaubte nicht, dass er ein Geist war, doch wenn er so zwischen den Gräbern stand, bekam sie doch eine Gänsehaut.
    Morgen , dachte sie. Morgen werde ich herausfinden, wer er ist. Aber morgen war immer erst am nächsten Tag. Stattdessen sah sie zu, wie Vater jeden Morgen, eingepackt in seine Winterarbeitsklamotten, nach draußen verschwand. Manchmal blieb er vor ihrem Zimmer stehen, lehnte sich an den Türrahmen und spähte hinein, während sie so tat, als würde sie noch schlafen.
    Eines Morgens kam ihr Vater schließlich ins Zimmer und setzte sich auf die Bettkante.
    »Ich weiß, dass du wach bist«, sagte er. »Warum kommst du nicht mit? Du kannst doch nicht ewig hier drin bleiben.«
    Evie zog sich die alte Patchworkdecke, die Großmutter genäht hatte, über den Kopf. »Es ist zu kalt draußen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.
    Vater zog die Decke weg. »Nein, ist es nicht. Du kannst dich warm anziehen. Es wird dir Spaß machen. Nur du und ich – wir werden das Grundstück erforschen. Beaumont ist der perfekte Ort für ein Abenteuer.«
    Mit einem Ruck zog Evie die Decke wieder an sich, doch sie schaffte es nur, sich die Decke bis unters Kinn zu ziehen. Abenteuer bedeuteten für ihren Vater lange Spaziergänge und eine öde Predigt über Bäume und Vögel und Pflanzen.
    »Beaumont ist eine blöde Kleinstadt voller toter Bäume.«
    »Na, willst du mir dann nicht helfen, die Bäume wieder gesund zu machen? Ich könnte jemanden, der mir draußen zur Hand geht, gut gebrauchen.«
    »Sie werden nicht mehr gesund. Sie sind tot .«
    Vater seufzte und strich ihr übers Haar. »Ach, Evie, das wissen wir doch noch gar nicht. Vielleicht wird ein Wunder geschehen.«
    »Ich glaube nicht mehr an Wunder«, murmelte Evie und drehte sich auf die andere Seite.
    »Und was ist mit harter Arbeit?«, fragte er. »Glaubst du daran?«
    Mom hätte jetzt eine Augenbraue hochgezogen und etwas gesagt, das Evie zum Lachen gebracht hätte, etwa: »Ja, die Bäume sind tot – aber doch nur, weil ein grässlicher alter Zauberer einen Fluch über die Stadt verhängt hat. Aber wenn du deinen faulen
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