Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evies Garten (German Edition)

Evies Garten (German Edition)

Titel: Evies Garten (German Edition)
Autoren: K.L. Going
Vom Netzwerk:
Buckel, doch seine blauen Augen strahlten, und er schien Evie direkt anzusehen. In seinem Blick lag eine Aufforderung, und irgendwas an den Augen kam ihr bekannt vor. Zuerst dachte sie, dass seine Augen sie an Maggies Augen erinnerten, aber das war es nicht wirklich. Trotzdem wusste sie, dass sie diese Augen schon mal gesehen hatte.
    Evie wartete trotzdem noch eine ganze Weile, aber jedes Mal, wenn sie hinschaute, forderte der alte Mann sie auf, ins Haus zu kommen. Sie hoffte, ihr Vater würde die Haustür zumachen, aber er tat es nicht. Schließlich stieg sie aus und ging vorsichtig die Stufen der Veranda hinauf. Das Holz knackte mit einem unheimlichen Wimmern unter ihrem Gewicht.
    Ich werde nur eine Minute bleiben , dachte Evie.
    Sie blieb unsicher unter dem niedrigen Vordach der Veranda stehen und betrachtete das Gemälde. Dann betrat sie das Haus und …
    »Du hast es also doch noch geschafft. Siehst du? So schlimm ist es hier drin gar nicht.« Vater bog um die Ecke, und Evie zuckte zusammen, doch er schien es nicht zu merken. Er strich ihr mit dem Zeigefinger sachte über die Wange.
    »Ich bin froh, dass du reingekommen bist«, sagte er und musterte sie aufmerksam. »Du hast recht. Ich hätte den Friedhof erwähnen sollen. Ich wollte nur, dass du erst die vielen anderen tollen Seiten siehst, die dieser Ort hat, bevor du ein Urteil fällst. Er ist hier genau wie in den Geschichten, die du immer mit deiner Mom gelesen hast, findest du nicht auch?«
    Sein Gesicht strahlte, als könnte er nicht anders als lächeln. Evie erinnerte sich an die Zeit, als Vater immer so gelächelt hatte. Dieses Lächeln stammte noch aus der Zeit, als Mom gesund war und er nicht ständig auf der Obstplantage von Farmer Dolan gearbeitet hatte. Das war drei Jahre her – so lange, dass sie sich kaum mehr daran erinnern konnte. Ihn jetzt so froh zu sehen war, wie jemanden auf der Straße wiederzusehen, den man bis dahin gar nicht vermisst hat: Man empfindet gleichzeitig Freude, ihn zu sehen, und Schmerz, weil man ihn so lange nicht gesehen hat.
    Was die Bücher betraf, irrte Vater. Evie und ihre Mutter hatten keine Geschichten über staubige alte Häuser und Friedhöfe gelesen. Sie hatten Bücher über verzauberte Gärten und fantastische Länder mit Einhörnern und Schlössern darin gelesen …
    Plötzlich vermisste sie ihr Leben in Michigan so sehr, dass es wehtat. Sie dachte an ihr altes Zuhause – die Regale voller Bücher, die bunten Bilder an allen Wänden und die Töpferscheibe im Atelier hinten im Haus, in dem Mom mit ihr getöpfert hatte. In jedem Winkel und in jeder Ecke konnte man etwas Interessantes entdecken, und wenn Mom in ihren langen, weiten Röcken und Sandalen durchs Haus flatterte, war es genau das Haus, in das sie gehörte.
    Es war ihr Zuhause und es war vollkommen gewesen. Dieses Haus hier war kaputt und voller Risse und es war überhaupt kein Leben darin.
    »Ich wünschte, wir wären zu Hause geblieben«, sagte Evie.
    Vaters Lächeln erstarb.
    »Nun, sind wir aber nicht. Wenigstens ist das Haus hier möbliert und bezahlt, und es gibt nicht in jedem Winkel Hunderte von Erinnerungen …«
    Vater fuhr sich mit der Hand durchs dichte Haar. Er schloss die Augen, und Evie fragte sich, ob er jetzt verschwinden würde – vielleicht hinaus in den Garten, um an den Bäumen zu arbeiten –, doch er tat es nicht. Stattdessen seufzte er und nahm sie an den Schultern.
    »Versuch mal, dir vorzustellen, wie es hier aussehen wird, wenn wir es hergerichtet haben«, bat er und drehte sie in Richtung des großen Wohnzimmers. »Siehst du das Zimmer da?« Sie blickte vorsichtig und widerstrebend in einen Raum und entdeckte Möbel, die in Bettlaken gehüllt waren. An den langen Fenstern hingen Vorhänge, die zugezogen waren.
    »Wir streichen die Wände, und du kannst den Fries anmalen. Wir verspachteln die Risse, machen den Kamin sauber und holen einen Stapel Holz von draußen …«
    Jetzt drehte Vater sie im Flur, sodass sie in Richtung Küche blickte.
    »Wir spachteln die Küchenschränke. Der Tisch und die Stühle sehen doch stabil aus. Und wenn der Backofen funktioniert, backen wir im Herbst Apfelkuchen – und Bratäpfel und Äpfel im Schlafrock und wir machen Apfelmost … Und auch draußen, wenn der Obstgarten wieder blüht und gedeiht … Kannst du es dir denn nicht vorstellen, Evie?«
    Eigentlich konnte sie es sich ganz gut vorstellen. Aber sie sah auch den Friedhof draußen vor dem Küchenfenster, und genau in dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher