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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Autoren: Claudia Gray
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alleinlassen.«
    »Balthazar hat aber recht«, warf Ranulf ein. »Es ist sicherer für dich, wenn du jetzt gehst.«
    »Was meinst du mit sicherer ?«
    »Vic, verschwinde einfach.« Ich hasste es, ihn wegzuschicken, aber wenn er nicht verstand, was hier vor sich ging, dann blieb nichts anderes mehr übrig, als ihm die schonungslose Wahrheit zu offenbaren. »Wenn du gerne am Leben bleiben möchtest, dann musst du jetzt gehen.«
    Vics Gesicht wurde blass.
    Etwas sanfter fügte Balthazar hinzu: »Das hier ist kein Ort für Lebende. Hier gehören nur die Toten her.«
    Vic fuhr sich mit den Händen durch das strubbelige Haar, nickte Ranulf einmal kurz zu und verließ den Projektorraum. Wahrscheinlich würde er nach Hause gehen und versuchen, etwas Sinnvolles zu tun – zum Beispiel das Haus putzen oder eine Mahlzeit zubereiten, die keiner essen würde. Menschliche Bedürfnisse kamen mir gerade sehr weit weg vor.
    Nun, da Vic nicht mehr da war, konnte ich endlich den Gedanken aussprechen, der mich schon seit Stunden quälte. »Sollten wir …« Meine Stimme versagte, und ich musste krampfhaft schlucken. »Sollten wir überhaupt zulassen, dass das geschieht?«
    »Du meinst, du findest, dass wir Lucas auslöschen sollten.« Aus jedem anderen Mund hätte das unerträglich grausam geklungen, aber bei Ranulf hörte es sich wie eine nüchterne Tatsache an. »Dass wir ihn davor bewahren sollten, als Vampir zurückzukehren, und seinen endgültigen Tod anerkennen.«
    »Ich will das nicht tun müssen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mir wünschte, es nicht tun zu müssen«, antwortete ich. Bei jedem Wort, das ich mühsam hervorbrachte, hatte ich das Gefühl, mein Herz würde bluten. »Aber ich weiß, dass es das ist, was Lucas wollen würde.« Bedeutete Liebe denn nicht, dass man die Bedürfnisse des anderen über die eigenen Wünsche stellte, selbst bei etwas so Entsetzlichem wie dieser Entscheidung?
    Balthazar schüttelte den Kopf. »Tu es nicht.«
    »Na, du klingst ja sehr sicher.« Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Aber ich war noch immer so wütend auf Balthazar, dass ich ihn kaum anschauen konnte. Er war es gewesen, der Lucas in diese Auseinandersetzung mit Charity geführt hatte, obwohl er wusste, dass dieser vor Trauer wie betäubt und außerstande war, beim Kämpfen sein Bestes zu geben. Es fühlte sich an, als hätte er Lucas’ Tod ebenso sehr verschuldet wie Charity. »Sagst du mir einfach nur, was ich hören will?«
    Balthazar runzelte die Stirn. »Als ob ich das jemals getan hätte! Bianca, hör mir zu. Wenn du mich am Tag, bevor ich zum Vampir wurde, gefragt hättest, ob ich als Untoter wiederauferstehen wolle, dann hätte ich nein gesagt.«
    »Du würdest immer noch ›nein‹ sagen, wenn du die Chance dazu hättest und die Zeit zurückdrehen könntest. Nicht wahr?«, fragte ich.
    Damit hatte ich ihn auf dem falschen Fuß erwischt. »Wir sprechen hier nicht nur über mich. Denk mal an deine Eltern. An Patrice und Ranulf und an all die anderen Vampire, die du kennst. Wären die denn wirklich besser dran, wenn sie in ihren Gräbern vermodern würden?«
    Einige Vampire waren ganz zufrieden mit ihrem Los, oder? Und zwar die meisten, die ich bislang kennengelernt hatte. Meine Eltern hatten viele Jahrhunderte lang Glück und Liebe geteilt. Vielleicht könnten auch Lucas und ich das haben. Ich wusste, dass er die Vorstellung, zum Vampir zu werden, verabscheute – aber noch vor zwei Jahren war er voll blinder, bedenkenloser Vorurteile gewesen und hatte alle Vampire gehasst. Er war so schnell so weit gekommen; ganz sicher würde er es schaffen, auch sich selbst schon bald als Vampir zu akzeptieren.
    Es war den Versuch wert. Es musste so sein. Mein Herz sagte mir, dass Lucas und ich noch eine Chance verdienten und dass es für uns noch die Hoffnung geben musste, zusammen zu sein.
    Zärtlich zeichnete ich mit einem Finger Lucas’ Gesicht nach: seine Stirn, seine Wangenknochen und die Umrisse seiner Lippen. Die Schwere und Blässe seines Körpers erinnerten mich an ein Relief auf einem Grabstein – starr, leblos, unveränderlich.
    »Es ist bald so weit«, sagte Balthazar. Er machte einen Schritt auf mich zu. »Es wird Zeit.«
    Ranulf nickte. »Ich spüre es ebenfalls. Du solltest von ihm wegtreten, Bianca.«
    »Ich werde ihn nicht loslassen.«
    »Dann mach dich einfach sprungbereit. Nur für alle Fälle.« Balthazar verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und suchte nach sicherem Stand wie ein
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