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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Autoren: Claudia Gray
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dem Fußboden herum, und ich versuchte, jeden Blick auf die abgetrennten Köpfe zu vermeiden. Vampire bluteten nach ihrem endgültigen Tod kaum, denn sie hatten kein schlagendes Herz, das das Blut hinauspumpen könnte. Trotzdem fiel mir auf, wie hungrig Lucas zu den wenigen Blutstropfen auf dem Boden hinstarrte.
    »Ich weiß, dass du hungrig bist«, versuchte ich ihn zu trösten.
    »Das weißt du nicht. Das kannst du gar nicht wissen. Es gibt nichts Vergleichbares.«
    Lucas verzog das Gesicht, und seine Reißzähne traten nun wieder deutlich zutage. Der bloße Anblick von Blut hatte sie erneut zum Wachsen gebracht. Als ich noch lebendig und nur zum Teil Vampirin gewesen war, hatte ich das verzweifelte Verlangen nach Blut selbst erlebt, aber ich nahm an, dass Lucas trotzdem recht hatte: Die Gier, die ihn in den Fängen hielt, war weitaus schlimmer als alles, was ich je kennengelernt hatte.
    Als wir hinaustraten, sahen wir Balthazar, der sich auf dem sonst leeren Parkplatz an sein Auto lehnte. Im Lichtschein der in der Nähe stehenden Straßenlaterne war sein Schatten lang gezogen und breit. Balthazar sprach als Erster: »Vic hat vor der Tür gewartet. Die einzige Möglichkeit für Ranulf, ihn von hier wegzuschaffen, war, ihn zu begleiten.«
    »Okay«, antwortete ich, als wir bei ihm angekommen waren. »Lasst uns von hier verschwinden. Ich will diesen Ort nie wiedersehen.«
    Balthazar bewegte sich nicht. Er und Lucas starrten einander wortlos an. Jahrelang hatten sie einander verabscheut, und erst in den Wirren nach meinem Tod hatten sie gemeinsame Sache machen können. Was ich jedoch jetzt zwischen den beiden sah, war völliges Verstehen.
    »Es tut mir leid.« Lucas’ Stimme war heiser. »Was ich da zu dir gesagt habe – über die Wahl, die man hat, über das Vampirsein und das alles – Himmel. Jetzt verstehe ich.«
    »Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, du hättest es nie begreifen müssen.«
    »Das Gleiche gilt für dich. Ich wünschte ebenfalls, du hättest das nie kennengelernt.«
    Eine Sekunde lang schloss Balthazar die Augen, und vielleicht erinnerte er sich an seine Jahrhunderte zurückliegende Umwandlung. »Komm. Wir müssen für dich was zu trinken finden.«
    Es versetzte mir einen Stich, als ich begriff, dass Lucas und Balthazar einander nun auf einer Ebene verstanden, die ich niemals mit ihnen würde teilen können. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich an, als ob ich etwas verloren hätte. Aber vielleicht war es auch einfach so, dass Lucas in diesem Augenblick so weit von mir entfernt zu sein schien, dass mir alles wie ein Verlust vorkam.
    Balthazar fuhr uns zurück in die hübschere Gegend von Philadelphia, in der Vic lebte. Lucas und ich saßen nebeneinander auf dem Rücksitz. Er hielt meine Hand ganz fest umklammert, und sein Blick war in die Ferne gerichtet, weit jenseits der Windschutzscheibe. Manchmal runzelte er die Stirn und schloss die Augen wie jemand mit einem schlimmen Migräneanfall. Seine Füße schoben sich ruhelos auf der Bodenmatte hin und her, als ob er sich nach hinten in den Sitz zu drücken versuchte oder ein Loch scharren wollte. Er wollte nicht hier sein, nicht eingeschlossen sein – alles rings um ihn herum war nur eine weitere Trennwand zwischen ihm und dem Blut, nach dem es ihn verlangte. Ich war klug genug, mich nicht mit ihm unterhalten zu wollen. Sobald er etwas getrunken hätte, würde alles mit ihm in Ordnung sein. Jedenfalls hoffte ich das.
    Balthazar brach die quälende Stille, indem er das Radio anstellte. Es lief Classic Jazz – die Art von Musik, die mein Vater bei uns zu Hause immer abspielte. Als Billie Holiday mit schmachtender Stimme über törichte Taten sang, fragte ich mich, was meine Eltern jetzt sagen würden, und überlegte, welchen Rat sie uns wohl geben würden. Wir hatten uns im Streit getrennt, als ich zu Beginn des Sommers mit Lucas durchgebrannt war. In diesem Augenblick vermisste ich die beiden so sehr, dass es wehtat. Was würden sie wohl von all dem halten, was in den letzten Tagen geschehen war?
    Ich warf einen Blick auf Lucas und betrachtete die bleiche, kühle Starre seines Fleisches, seine Augen, denen der Tod einen seltsamen Glanz verliehen hatte, und seine wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen. Niedergeschlagen dachte ich: Tja, sie wollten doch immer, dass ich mir einen netten Vampirjungen suche.
    Der Wagen bog in die Straße ein, in der Vic lebte: eine wohlhabende Nachbarschaft mit breiten Vorgärten, die die luxuriösen Häuser
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