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Eulen

Eulen

Titel: Eulen
Autoren: Carl Hiassen
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rechts ab und verschwand zwischen den Kiefern. Verbissen schlug Roy dieselbe Richtung ein.
    Ein wütender Schrei ertönte, Roy sah, dass die Leute auf der Spielbahn aufgeregt winkten, doch er rannte weiter. Im nächsten Moment blitzte etwas auf, wie Sonnenlicht auf Metall, gefolgt von einem dumpfen Plopp. Roy sah den Golfball erst, als er etwa zwei Meter vor ihm angeflogen kam. Er hatte keine Zeit mehr, sich zu bücken oder auszuweichen. Er konnte nur noch den Kopf wegdrehen und sich auf den Aufprall gefasst machen.
    Der Ball traf ihn direkt über dem linken Ohr und im ersten Moment tat es nicht einmal weh. Doch dann fühlte Roy, wie er schwankte, während in seinem Schädel ein grelles Feuerwerk losging. Dann fiel er, aber dieses Fallen kam ihm sehr lang vor, sehr sanft, wie wenn ein Regentropfen auf Samt fällt.
    Als die Golfer angerannt kamen und Roy mit dem Gesicht nach unten im Sandbunker liegen sahen, dachten sie, er sei tot. Roy hörte ihr aufgeregtes Geschrei, aber er bewegte sich nicht. Der zuckrige Sand fühlte sich angenehm kühl an unter seinen brennenden Wangen, und außerdem war er furchtbar schläfrig.
     
    Dass sie ihn Cowgirl nannten, hatte er sich selbst zuzuschreiben, dachte er. Er hatte seinen Mitschülern erzählt, dass er aus Montana kam, einem Staat, in dem es sehr viel Rinderzucht gab. Zur Welt gekommen war er aber in Detroit im Staat Michigan. Von dort waren Roys Eltern weggezogen, als er noch ein Baby war, und deswegen fand er es blöd, Detroit als seine Heimatstadt zu bezeichnen. Im Grunde, so kam es ihm vor, hatte er gar keine Heimatstadt – seine Familie war nie so lange irgendwo geblieben, dass Roy sich dort zu Hause gefühlt hätte.
    Von allen Orten, an denen die Eberhardts gelebt hatten, hatte es Roy am allerbesten in Bozeman gefallen, im Staat Montana. Die Berge mit ihren wild gezackten Gipfeln, die gewundenen, grünen Flüsse, der blaue Himmel, der aussah wie gemalt – Roy hatte sich vorher nie vorstellen können, dass es so etwas Schönes wirklich geben könnte. Zwei Jahre, sieben Monate und elf Tage hatten die Eberhardts dort gelebt; Roy wäre gern für immer geblieben.
    An dem Abend, als sein Vater ihm mitteilte, dass sie nach Florida ziehen würden, schloss Roy sich in seinem Zimmer ein und weinte. Seine Mutter erwischte ihn, als er gerade aus dem Fenster klettern wollte. Er hatte sein Snowboard dabei und einen Plastikkoffer, in den er Unterwäsche, Socken und ein dickes Fleece-Hemd gepackt hatte sowie ein Sparbuch mit hundert Dollar, das ihm sein Großvater zum Geburtstag geschenkt hatte.
    Seine Mutter versicherte Roy, er würde von Florida begeistert sein. Alle Amerikaner wollten nach Florida ziehen, weil es dort so warm sei und überhaupt ganz toll. Roys Vater hatte den Kopf zur Tür hereingestreckt und mit etwas künstlicher Begeisterung gesagt: »Und vergiss nicht Disney World.«
    »Disney World ist ein Loch«, hatte Roy matt geantwortet, »verglichen mit Montana. Ich will hier bleiben.«
    Wie immer wurde er überstimmt.
    Als nun der Klassenlehrer an der Trace Middle den neuen Schüler fragte, wo er her sei, da stand er auf und sagte stolz: »Bozeman, Montana.« Dieselbe Antwort gab er auch im Schulbus, als Dana Matherson ihn ansprach, und von da an war Roy entweder Tex oder Cowgirl.
    Es war seine eigene Dummheit – wieso hatte er auch nicht Detroit gesagt!
    »Warum hast du Dana Matherson geschlagen?«, fragte Viola Hennepin. Sie war die Stellvertretende Schulleiterin der Trace Middle und Roy saß in ihrem düsteren Minibüro und wartete auf sein Urteil.
    »Weil er mich fast erwürgt hat.«
    »Dana Matherson sagt aber etwas ganz anderes, Roy.« Miss Hennepin hatte ein ausgesprochen spitzes Gesicht. Sie war groß und knochig und setzte immer eine strenge Miene auf. »Er sagt, du hättest ihn ohne jeden Anlass angegriffen.«
    »Klar«, sagte Roy, »ich suche mir immer den größten und gemeinsten Schüler im Bus und geb ihm eins auf die Nase, nur so aus Jux.«
    »Sarkasmus schätzen wir nicht bei unseren Schülern«, ermahnte ihn Miss Hennepin. »Ist dir klar, dass du ihm das Nasenbein gebrochen hast? Wundere dich nicht, wenn deine Eltern demnächst eine Rechnung vom Krankenhaus bekommen.«
    »Der Idiot hat mich regelrecht stranguliert«, sagte Roy.
    »Tatsächlich? Dein Busfahrer, Mr. Kesey, sagt, er habe nichts bemerkt.«
    »Kann ja sein, dass er ausnahmsweise mal auf den Verkehr geachtet hat.«
    Miss Hennepin lächelte dünn. »Du bist ganz schön scharfzüngig, Roy.
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