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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition)
Autoren: Péter Esterházy
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Kornél? Und ob es sich reimt, selbst in der Unterführung sprudelt aus Onkel Kornél der Reim. Aber Onkel Kornél, entweder ist man obdachlos oder man reimt. Du weißt es sicher, liebes Kind, Nichtsnutze leben gut wie ein King. Das ist zwar richtig, Onkel Kornél, aber das geht hier nicht. Wer dichten will, der täte gut, er macht’ es so, wie Goethe tut!, das ist ein Grenzfall. Entweder man stinkt oder man reimt, denkst du nicht? Du bist ein guter Junge, Esti zog sich die Skimütze tief in die Stirn, aber von Dichtung hast du keinen blassen Schimmer. Jeder hatte seinen festen Platz, der von Esti war unter den Telefonen in der Ecke. Einer der besten Plätze. Man müsste schon schlafen. Das Mittagessen kochen sie zusammen, Esti macht sich als Küchenjunge nützlich, schneidet Zwiebeln, wäscht ab, schmeckt ab. Er schmeckt gut ab, seine Geschmacksknospen sind gut. Etwas Kaffa?, ertönt die obligatorische Frage der Baroness nach dem Mittagessen. Das ist der einzige Augenblick, der einen Schatten wirft, denn auch seine Frau hat genau so gefragt, etwas Kaffa? Wahrscheinlich gibt es viele Frauen auf der Welt, die ebenso Kaffa sagen, denkt Esti dann. Das kann er irgendwie zu seiner Entschuldigung anführen. Dann lesen sie jeder für sich, dann machen sie ein Nickerchen, dann lesen sie einander aus Romanen vor, aber auch Gedichte und kürzere Essays oder auch essayartige Studien. Sie essen früh zu Abend. Sehen nicht fern, hören Musik. Sie schlafen lange, friedlich wie die Kinder.
    Alles okay, Onkel Kornél? Auf dem Nasensattel des jungen Mannes, seines Nachbarn, eine gelb perlende hässliche Narbe. Esti setzt sich auf, er weiß nicht, wo er ist. Mag sein, dass ich Gott verlassen habe, schreit er dem anderen auf einmal ins Gesicht, mag sein, dass ich ihn verlassen habe, aber Gott hat mich nicht verlassen. Außer ihnen ist niemand in der Unterführung. Wie ein großzügiger Salon; jemand hat vergessen, das Fenster zu schließen. Alle sehen Kornél Esti an. Sie kichern, Onkel Kornél, das reimt sich irgendwie nicht, Onkel Kornél. Esti legt sich wieder hin, rollt sich zusammen, zieht die Knie an den Bauch wie sonst, wie ein Embryo. Nicht dass er von vorn anfangen wollte, aber irgendetwas müsste er seinen Kindern sagen. Eine Flasche Apfelwein macht die Runde. Jemand bemerkt noch gut gelaunt zu Esti: Was das Verlassen angeht, so höre man doch auch, um es so auszudrücken, die andere Seite, audiatur et altera pars. So ein Blödsinn, brummt ein anderer Jemand im Halbschlaf, höre man, höre man.

IV
SCHMIEDEN

Nichts
    J ahrelang wusste Kornél Esti, man soll den Brunnen zudecken, nachdem das Kind hineingefallen ist. Er lebte nach dieser Devise. Illusionslosigkeit, Traurigkeit, die Schönheit der Verzweiflung, Ironie.

Alles
    D er Zilpzalp heißt auch WEIDENLAUBSÄNGER , außerdem gibt es den WALDLAUBSÄNGER , und die SCHWANZMEISE heißt so, weil sie einen langen Schwanz hat. Kornél Esti hätte gern ein Leben gelebt, in dem er dieses Wissen hätte verwenden können. (Eigentlich alles, sein Wissen, sein Nichtwissen, das Alles, das Nichts oder das Alles, dieses Nichts, und was dazwischen liegt.)
    Er kannte einen Mann, der war kräftig wie ein norwegischer Fischer und kultiviert wie ein französischer oder, noch besser, englischer (aber sexy!) Blaustrumpf – dessen Leben schien ihm so, so bis ins Kleinste vollkommen. Quesig ist in manchen Gegenden der Name für quengelig. Esti blickte auf sein Leben wie auf ein seltenes Wort, und es wäre das Geringste, zu sagen, dass er unzufrieden war.

Gebet vor dem Kampf
    E r ließ seine Zugfahrkarte fallen (mit der PLATZKARTE !), er bückte sich danach, aber dann wurde ein Knien daraus, er fiel vor dem Kölner Dom auf die Knie. In brutaler Schönheit ragte der Kölner Dom furchteinflößend empor, davor im Staub, auch wenn es Asphalt war, Kornél Esti. Ich knie vor meinem himmlischen Vater, definierte Esti die Situation und spürte eine solche Leichtigkeit, ja, Erleichterung wie noch nie.
    Nie.
    Jubel machte sich auf seinem Gesicht breit, so sehr, dass ihm sogar einige Geld hinwarfen, nehmen Sie es, guter Mann, weinen Sie nicht. Es tat ihm so gut, da zu knien, er hatte dieses Größere so bitter nötig, wollte es so sehr, es schien ihm so notwendig, und als er das Geld aufsammelte, hatte er so sehr das Gefühl, angekommen zu sein, dort zu sein, wo er sein muss – dass er das Ganze, das Knien, den Staub (wenn auch Asphalt), die Geldstücke, den Jubel als Beweis gegen die Existenz Gottes,
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