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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition)
Autoren: Péter Esterházy
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beten konnte. Dies war ein einziges Mal von Bedeutung, von Nutzen vielleicht auch mehrmals, während des großen Pester Hochwassers von 1838. Mit – durch eine spezielle Bewegung der Flossen ausgedrückter – ehrfürchtiger Anerkennung verfolgte Esti aus dem Wasser, quasi aus der Froschperspektive, Baron Wesselényis aufopferungsvolle Rettungsaktionen. Wenn es einen Zufall gibt, dann geriet er zufällig in die Rochuskirche, die Kirchentür war von der eisigen Flut weggeschwemmt, gleichsam abrasiert worden, er schwamm bis ganz an den Altar heran, und obwohl er damals, logischerweise, zum ersten Mal eine Kirche von innen sah, begann er zu beten, flehte den Herrn um Erbarmen an. Erbarmen, mein Vater. Das Wasser war höllisch kalt. De profundis clamavi ad te, Domine. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir. Da sprach der Herr (ziemlich seltener Fall!): Oh, Komma, wie untief die Tiefe, neue Zeile, und die Untiefe wie tief. Esti notierte es auf der Stelle (was nicht einfach war), was ist das doch für ein widerliches Metier, murmelte er. Esti drinnen, Wesselényi draußen, der Herr oben (und unten).
    Und in der Mitte.
Aus dem wundersamen Leben eines Huhns
    Bei Hunden, Karpfen lässt sich leichter, bei Menschen, Hühnern schwerer sagen, wann sie glücklich sind. Ob sie glücklich sind. Das Huhn wedelt nicht mit dem Schwanz (ausgenommen das Hundehuhn, aber das zählt nicht), es schnappt nicht selig nach Luft wie der ans Ufer geworfene Fisch, und wenn wir ihm tief in die Augen schauen, nun … nun, die Wahrheit ist, dass wir ihm nicht in die Augen schauen, und das ist sicher kein Zufall.
    Kornél Esti war das simpelste Bauernhofhuhn, doch wenn du schon mal jemanden glücklich gesehen hast, dann Esti. Wenn man es sah, hatte man das Gefühl, Estis Leben fliegt. Ein Steinadler oder ein anderes derartiges (in die Lüfte) steigendes Symbol! Wie es beim Scharren den Fuß hob, die Leichtigkeit, Eleganz, ganz Pina Bausch, das heißt, die Herzallerliebstheit, die Esti einfach so ausstrahlte, entbehrte nicht der schwermütigen Universalität. Aus diesem Grund liebte Esti die langen Sommersonnenuntergänge, es saß unter dem im Laufe der Jahre langsam völlig verdorrten Walnussbaum im Staub, bewegte sein Hinterteil ein bisschen hin und her, machte sich einen Sitzplatz und starrte den ins Lila spielenden, schweren, doch gehaltvollen Himmel an. Hühner kennen nur die Gegenwart, das ist die notwendige Bedingung des Glücks. Esti lebte ständig in diesem faustischen Augenblick, und es stimmt nicht, dass das Synonym für ununterbrochenes Glück die Langeweile wäre.
    Aber es gibt ein Aber.
    All das aber ereignete sich in dem Film Pink Flamingos , das heißt, Esti wurde ohne viel Federlesens: vergewaltigt. Auf die Frage eines Journalisten antwortete der Regisseur Jahre später, das Huhn sei bereits tot gewesen und nach dem Dreh hätten sie es gegrillt, denn sicherheitshalber hatten sie einen Elektrogrill und der Stab hatte wahrlich schon einen mörderischen Hunger. Einen mörderischen. Das Glück war groß, erinnerte sich der Regisseur (John Waters).
    Was Esti angeht – nun, im Vergleich zu diesem Sonnenuntergang und zum Steinadler die Arschkarte gezogen. Aber so ist halt das Leben. Beziehungsweise sein Leben ist so (gewesen usw.).
Federzeichnung
    Zu der Zeit war Esti meine Mama. Bist du wach, Mama? Gewiss, mein Junge, ich habe auch schon geweint.
Die Quadratur des Kreises
    Mir wäre es lieb, wenn meine Kinder wüssten, dass ich in den letzten Jahren meines Lebens glücklich gewesen bin. Damit sie sich darüber freuen. Damit der Schmerz, den ich ihnen bereitet habe, und der Schmerz, den ich meiner Frau bereitet habe, einen Sinn hatte. Nein, das wird so nicht gut, das wird man als puren Egoismus auffassen. Dabei wollte Esti so etwas in der Art sagen, das entstandene Glück lässt den bereiteten Schmerz winzig werden, und dies sieht er nicht vom eigenen, sondern vom Standpunkt der Welt so. Sein Leben hat sich geglättet, er freut sich über jeden Tag. Morgens betet er mit seinen eigenen Worten, geht zum Frühstück hinüber zu der Baroness, Rühreier mit Speck aus vier Eiern, Earl Grey, SPEZIALMISCHUNG , und ein Gläschen Quittenschnaps. Bis zum Mittag sind sie im Bett. Immer scheint die Sonne, goldene Streifen auf dem breiten Bett, immer blinzeln sie. Lachen über die gemeinsame Bindehautentzündung.
    Ich denke so gern an mein Leben. Was brummst du, Onkel Kornél? Kinder, Onkel Kornél murmelt wieder Gedichte. Reimt es sich auch, Onkel
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