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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
Autoren: Laura Esquivel
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frisch sein. Nacha achtete stets darauf, daß sie nur Eier verwendete, die am gleichen Morgen gelegt worden waren. Man schichtet die Eier in ein Gefäß, das mit ausgelassenem, wieder abkühlendem Hammeltalg angefüllt wird, bis es die Eier ganz bedeckt. Das genügt, um sie für einige Monate frisch zu halten. Beabsichtigt man jedoch, sie für länger als ein Jahr aufzubewahren, ist es ratsam, die Eier in einen Einmachtopf zu füllen, wo man sie mit einer Flüssigkeit aus einem Teil Kalk auf zehn Teile Wasser übergießt. Für ein gutes Gelingen ist es wichtig, daß der Topf luftdicht verschlossen wird und im Keller lagert. Tita und Nacha hatten sich für die erste Möglichkeit entschieden, da sie die Eier nicht so viele Monate lang aufbewahren mußten. Das Gefäß mit den Eiern hatten sie unter dem Küchentisch bereitgestellt, und sie bedienten sich nun daraus, während sie den Kuchenteig anrührten.
    Die übermenschliche Kraft, die das Mischen einer so unvorstellbaren Eiermenge verlangt, machte Tita schon ganz wirr im Kopf, obschon nicht einmal hundert Eier verarbeitet waren. Die Zahl von 170 erschien ihr schier unerreichbar.
    Tita rührte und rührte, während Nacha die Eier aufschlug und hineingab. Bei jedem Schlag fuhr Tita ein Schauder durch den Körper, und ihr standen sämtliche Haare zu Berge. Denn das Weiß der Eier rief ihr die Hoden der Hähne in Erinnerung, die sie vor einem Monat kastriert hatte. Kapaune sind verschnittene Haushähne, die gemästet werden. Eben dieses Gericht hatte man für Pedros und Rosauras Hochzeit bestimmt, da es als Krönung solch herausragender Festlichkeiten allgemein geschätzt wird, wobei diese Spezialität ihren Ruf nicht weniger den umständlichen und aufwendigen Vorbereitungen als dem erlesenen Geschmack der Kapaune verdankt.
    Kaum war die Hochzeit auf den 12. Januar festgelegt, wurden auch schon zweihundert Hähne geordert, die jene Prozedur über sich ergehen lassen mußten, damit man sogleich mit der Mast beginnen konnte.
    Mit dieser Aufgabe wurden Tita und Nacha betraut; Nacha aufgrund ihrer Erfahrung und Tita als Strafe dafür, daß sie unter Vortäuschung einer Migräne erfolgreich verhindert hatte dabeizusein, als um Rosauras I land angehalten wurde.
    »Ich werde dir deine störrischen Allüren schon austreiben«, hatte Mama Elena sie heruntergeputzt, »ich kann nicht zulassen, daß du deiner Schwester mit dieser Leidensmiene ihre Hochzeit verdirbst. Du wirst ab sofort die Vorbereitungen für das Festmahl leiten, und gib nur |.i acht, daß du mir nicht noch einmal mit diesem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter unter die Augen kommst, und Tränen will ich schon gar nicht sehen, hast du mich verstanden?«
    Tita hatte sich verzweifelt diese Warnung ins Gedächtnis gerufen, als sie sich anschickte, die erste Operation durchzuführen.
    Die Kastration des Hahns beginnt mit einem Einschnitt in die Deckhaut der Testikel. Dann tastet man sich mit den Fingern vorwärts, um schließlich die Hoden abzureißen. Nach vollendeter Tat wird die Wunde vernäht und mit frischer Butter oder mit Geflügelschmalz eingerieben. Tita wäre um ein Haar in Ohnmacht gefallen, als sie den ersten Hahn befühlen und ihm gewaltsam die Hoden entfernen mußte. Der Schweiß war ihr heruntergelaufen, ihre Hände hatten gezittert und ihr Magen geflattert wie ein Papierfetzen im Wind. Just in diesem Augenblick hatte ihr Mama Elena einen vernichtenden Blick zugeworfen und sie angefahren:
    »Was ist los? Warum zitterst du, wollen wir etwa schon wieder Ärger machen?« Tita hatte aufgeschaut und sie angestarrt. Sie hätte ihr ins Gesicht schreien mögen, ja, es gebe Ärger, sie habe sich nämlich das falsche Objekt für die Kastration gewählt, denn nicht die Hähne, sondern sie, Tita, sei das eigentliche Opfer; auf diese Weise gäbe es wenigstens einen plausiblen Grund dafür, daß ihr die Ehe verweigert wurde und Rosaura ihren Platz bei dem Mann einnahm, den sie selbst liebte. Mama Elena, die alles in ihren Augen lesen konnte, war aus der Haut gefahren und hatte Tita eine so gehörige Ohrfeige versetzt, daß sie zu Boden knallte, genau auf den Hahn, der so zwar vor der Kastration aber nicht vor seinem vorzeitigen Tode bewahrt wurde.
    Wie wild begann Tita nun den Teig zu schlagen, als wollte sie ihrem Martyrium ein für alle Mal ein Ende setzen. Es blieben nur noch zwei Eier zu verarbeiten, bis der Kuchenteig fertig wäre. Das war alles, was sie noch tun mußte, der Rest, jedes einzelne Gericht des
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