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Es wird schon nicht das Ende der Welt sein

Es wird schon nicht das Ende der Welt sein

Titel: Es wird schon nicht das Ende der Welt sein
Autoren: Ali Lewis
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wie eine Kirsche auf dem Rest von ihr. Ihr Körper hatte die Form einer großen Träne. Als sie die Tür aufmachte und zum Auto kam, sah es so aus, als führten Teile ihres Körpers ein Eigenleben. Sie bewegten sich in eine andere Richtung als die, in die sie ging. Das dünne Kleid, das sie trug, wirkte zu schwach für all das, was sie darunter hatte. Ihre geschwollenen, wabbeligen, verschorften Fußknöchel quollen aus ihren Schuhen, in die ihre Beine hineinzuschmelzen schienen wie Kerzenwachs. Beim Atmen keuchte sie und schnappte nach Luft, und sie zog ein Taschentuch aus ihrem Kleiderärmel und betupfte den Schweiß auf ihrem Gesicht, als ob der nur kleine Flecken bedeckte. »Gott sei Dank gibt es Klimaanlagen«, kicherte sie zwischen den Japsern. Es war, als hätte sie nicht eine Sorge auf der Welt.
    Tante Ve fand unser Timing perfekt, denn sie hatte gerade ein paar Kuchen aus dem Ofen geholt. Das war witzig, denn ich glaub, wir waren noch nie bei Tante Ve vorgefahren, ohne dass gerade irgendwas richtig Leckeres aus dem Ofen gekommen wäre. Sie lächelte und legte ihre Hand an Sissys Gesicht, als sie fragte, wie es ihr ginge. Ich dachte, Sissy würde wieder anfangen zu heulen, tat sie aber nicht. Sie zuckte bloß die Achseln. Und da sagte Tante Ve: »Weißt du, das wird schon alles.«
    Als Mum und Sissy vom Krankenhaus zurückkamen, hatten sie ein kleines schwarz-weißes Bild dabei, angeblich vom Baby – aber das war Müll. Sissy zeigte es Tante Ve, die sagte, sie finde es großartig – der erste Blick auf die nächste Generation . Mum zeigte es mir und Emily. Sie zeigte immerzu auf die Stelle, wo, wie sie sagte, der Kopf des Babys war – aber ich glaube, da irrte sie sich. Das war nichts weiter als ein Haufen schwarzer und grauer Kleckse – konnte überhaupt nicht angehen, dass das ein Bild von einem Baby war. Ich sagte ihr, ich vermutete, mit der Kamera sei was nicht in Ordnung oder sie hätten das falsch ausgedruckt. Alle haben gelacht, aber ich wusste, Dad würde mir recht geben, wenn er es sah.
    Nach dem Abendessen gingen Mum, Sissy und Emily in den Supermarkt und holten all die Lebensmittel, die wir brauchten. Tante Ve und ich gingen indessen zum Backpacker Hostel, um die Jobanzeige ans Schwarze Brett zu hängen.
    Im Hostel war ein riesiger Haufen Leute, die mit total großem Gepäck auf den Rücken kamen und gingen. Andere sahen im Nebenraum fern oder spielten draußen Karten und tranken dabei Bier. Ich nahm an, das waren die Pommies, von denen Dad geredet hatte. Er hatte gesagt, die meisten von denen seien faule Hunde . Vermutlich hatte er recht, ich fragte mich also, warum wir wollten, dass so jemand für uns arbeitete.
    Tante Ve pinnte die Jobanzeige mitten auf der Tafel fest, zwischen der Anzeige für ein Auto, das jemand zu verkaufen versuchte, und einem Anschlag, in dem Leuten eine Mitfahrgelegenheit zum Uluru angeboten wurde – so nennen die Blackfellas Ayers Rock.
    Am nächsten Tag, nachdem wir neue Schuhe gekauft und eine Ladung Fahrzeugteile verstaut hatten, die Dad bestellt hatte, verabschiedeten wir uns von Tante Ve. Sie gab uns genug Kuchen und Proviant für Wochen mit auf die Reise, und das war schon okay so, weil Sissy die ganze Zeit hungrig war. Mum glaubte, das lag daran, dass sie für zwei aß . Zwei große Elefanten, nehm ich an.

4
    EIN PAAR WOCHEN SPÄTER waren wir abends beim Essen, als das Telefon klingelte. Es war die Polizei. Sie hatten ein Kamelbaby gefunden und wussten nicht, was sie damit machen sollten, deshalb hatten sie Dad angerufen, um zu hören, ob ihm vielleicht was einfiel. Dad sagte, er würde drüber nachdenken und zurückrufen. Keine Ahnung, warum, aber sobald ich das hörte, brüllte ich los, dass ich es haben wollte. Dad zog die Augenbrauen hoch, und ich dachte, ich würde Ärger kriegen, aber dann zuckte er die Achseln, guckte Mum an und sagte: »Na ja, das könnte gut für ihn sein, ein neues Haustier.« Mum schüttelte den Kopf und sagte: »Kommt gar nicht infrage – die haben jetzt schon genug Kälber. Das ist ein Kamel, kein Spielzeug.«
    Dad ging ihr hinterher in die Küche, und es hörte sich an, als hätten sie deswegen einen kleinen Streit. Als Dad allein zurückkam, setzte er sich an den Tisch und sah mir ins Gesicht. Er sagte, wenn wir das Kamel nähmen, dann hätte ich die Verantwortung dafür, ich sollte es mir also gut überlegen. Ich sagte, ich wolle das Kamel haben. Er schüttelte den Kopf und sagte, ich hätte nicht richtig drüber
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