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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir
Autoren: Robert Silverberg
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Geheimnisse haben würdest, dir riet, ihn nicht als wirklich menschliches Wesen zu betrachten, dir sagte, er sei eine Maschine, eine auf maximale Selbstverwirklichung programmierte Maschine, dir sagte, die Gabe habe ihn kalt, grausam und stark gemacht, während sie mich weich und unsicher gemacht habe, behauptete, er sei im Grunde ebenso krank wie ich, ein Mann, der seine Mitmenschen manipuliere, unfähig zur Liebe, fähig einzig dazu, die Menschen auszunutzen. Ich warnte dich, daß er dir wehtun würde, wenn du ihm Angriffspunkte bötest. Du antwortetest nicht.
    Nie wieder hörte ich von dir, nie wieder sah ich etwas von dir, nie wieder sah oder hörte ich auch etwas von ihm. Dreizehn Jahre. Keine Ahnung, was aus euch geworden ist. Wahrscheinlich werde ich es nie erfahren. Aber hör zu. Hör zu. Ich habe dich geliebt, Kitty, auf meine ungeschickte Art geliebt. Ich liebe dich immer noch. Und du bist mir auf ewig verloren.
25
    Selig erwacht steif, wund, benommen, in einem trostlosen unfreundlichen Krankensaal. Offenbar in St. Luke, wahrscheinlich die Unfallstation. Seine Unterlippe ist geschwollen, sein linkes Auge läßt sich nur mühsam öffnen und seine Nase gibt bei jedem Atemzug ein ungewohntes Pfeifgeräusch von sich. Hat man ihn auf einer Bahre hierhergebracht, nachdem ihn die Basketballspieler zusammengeschlagen hatten? Er hat das Gefühl, überall mit verkrustetem Blut bedeckt zu sein, doch als es ihm endlich gelingt, nach unten zu blicken – sein Hals, merkwürdig starr, will nicht gehorchen –, sieht er lediglich das schmuddelige Weiß eines Krankenhaushemdes. Jedesmal, wenn er einatmet, glaubt er zu spüren, wie die scharfen, zersplitterten Kanten seiner gebrochenen Rippen gegeneinander stoßen; als er die Hand unter das Hemd streckt, berührt er jedoch nackte Haut und muß feststellen, daß man ihn nicht bandagiert hat. Er weiß nicht recht, ob er darüber erleichtert oder verärgert sein soll.
    Vorsichtig richtet er sich auf. Ein Durcheinander von Impressionen überfällt ihn. Der Saal ist laut und überfüllt, die Betten stehen dicht an dicht. Alle Betten haben Vorhänge, doch kein einziger ist zugezogen. Die meisten seiner Mitpatienten sind Schwarze, viele von ihnen in beängstigendem Zustand, rings umgeben von zahllosen medizinischen Geräten. Durch Messer verstümmelt? Von Windschutzscheiben zerschnitten? Um jedes Bett drängen sich Freunde und Verwandte, gestikulieren, streiten, schimpfen; der normale Ton hier ist ein bellendes Schreien. Gleichmütige Krankenschwestern schweben durch den Saal, beweisen für ihre Patienten die gleiche unpersönliche Sorge wie Museumswärter für die ausgestellten Mumien. Um Selig kümmert sich niemand außer Selig, der sich wieder der Erforschung des eigenen Körpers zuwendet. Mit den Fingerspitzen betastet er seine Wangen. Ohne Spiegel kann er nicht feststellen, wie zerschlagen sein Gesicht aussieht, aber es tut ihm überall weh. Sein linkes Schlüsselbein schmerzt von einem leichten Karateschlag, der ihn nur gestreift hat. Sein rechtes Knie klopft und sticht, als hätte er es beim Fallen verrenkt. Immerhin verspürt er weniger Schmerzen als er eigentlich erwartet hatte; vielleicht hat man ihm eine Spritze gegeben.
    Sein Kopf schwimmt. Zwar nimmt er von den Menschen im Krankensaal mentalen Input auf, aber alles ist verzerrt, nichts ist deutlich zu erkennen; er empfängt Auren, aber keine verständlichen Verbalisierungen. Um sich endlich zu orientieren, bittet er dreimal vorübereilende Schwestern um die Uhrzeit, denn seine Armbanduhr ist verschwunden; sie gehen weiter, ohne ihn zu beachten. Schließlich schaut eine voluminöse, lächelnde Schwarze in einem hellroten Kleid mit Rüschchen zu ihm herüber und sagt: »Es ist Viertel vor vier, mein Schatz.« Viertel vor vier nachts? Nachmittags? Wahrscheinlich nachmittags. Schräg gegenüber errichten zwei Schwestern eine Art Galgen, offenbar zur intravenösen Ernährung, mit einem Plastikschlauch, der in die Nase eines riesigen, bewußtlosen, dick verbundenen Negers führt. Seligs Magen schickt keinerlei Hungersignale aus. Der Chemikaliengeruch in der Krankenhausluft verursacht ihm Übelkeit; sein Mund ist ausgetrocknet. Ob sie ihm am Abend etwas zu essen bringen? Wie lange er wohl hierbleiben muß? Wer bezahlt? Soll er bitten, daß man Judith benachrichtigt? Wie schwer ist er überhaupt verletzt?
    Ein Arzt betritt den Krankensaal: ein kleiner, dunkelhäutiger Mann, adrett, feingliedrig, offensichtlich ein Pakistani,
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