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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Autoren: Frank Spilker
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Endlosigkeit dehnt.
    Eine andere Szene, ein anderes Bild. Die Jungs machen Witze über ihre Körper. Anlass zum Vergleich gibt ihnen die Langeweile und das Schlangestehen im Flur. Sie sind nackt, weil das Entkleiden im Arztzimmer zu viel Zeit kosten würde. Im Behandlungsraum erwartet sie ein Ungetüm von einem Spirometer. Ganz tiefes Ein- und Ausatmen. Ist das ein Wettbewerb? Außerdem eine Blutprobe. Doch beides ist nicht annähernd so schmerzhaft und demütigend wie der anschließende Einlauf, der von einer Krankenschwester verabreicht wird. Ein Trichter mit einem daran angebrachten roten Schlauch, schnell und ungefragt in den Arsch gerammt. »Stell dich nicht so an! Du willst doch gesund werden, oder nicht?« Für diese Behandlung gibt es keine medizinische Notwendigkeit. Vielmehr wird sie zur Disziplinierung eingesetzt. Kaltes klares Wasser, nur so aus Vorsicht oder als einleitende Entwürdigung.
    Die Krankenschwester ist eine von denen, die später die Postkarten für mich schreiben wird. Sie ist das Gegenteil von dem Bild auf dem Relief. Eine Quelle der Angst.
    »Mir geht es gut, wie geht es Euch? Das Wetter ist toll. Wir machen jeden Tag einen Ausflug und haben schon so viel erlebt.«

    Um den Weg nicht zu verlieren, versuche ich die gleiche Strecke wieder zurückzugehen. Alles sieht sich so ähnlich. Grünbraune Suppe, vermischt mit Nebel. Die Farne wachsen wie im extremen Zeitraffer. Der Regen kommt jetzt mit einer beachtlichen Wucht über einen Berg gezogen und ergießt sich mit voller Kraft ins Tal. Ich bin bereit zur Flucht und laufe die Serpentinen hinab, um so schnell wie möglich irgendeinen Unterstand, vielleicht die Muschel oder eine Bushaltestelle, zu erreichen. Neben mir läuft eine freundliche junge Frau, links ein großer Junge und außen zwei Mädchen. Ihr auf einen Strich reduziertes Lächeln spornt mich zu besonderer Eile an. Wer weiß, vielleicht ist das hier ein Fluch, und ich werde im Tausch mit den Figuren den Rest meines Lebens als Reliefzeichnung auf der Gebäudefassade verbringen müssen, wenn ich ihnen nicht entkomme. Ich schlage einen Haken, stoppe kurz und hoffe, dass meine gruseligen Begleiter einfach weiterrennen, geradeaus ins Tal hinab.
    Als ich den großen Park vor dem Wald erreiche, drehe ich mich um. Sie sind nicht mehr zu sehen. Auch der Wolkenbruch ist vorübergezogen. Tropfnass schleiche ich an der Muschel vorbei. Wenn das durch die tief hängenden Wolken fallende aschfahle Licht doch einmal aufhellt, erstrahlt die Landschaft in einem satten Grün. Ich verstecke mich tief in dieser Normalität. Ich möchte Teil einer Modelleisenbahn werden, in der die Züge immer im Kreis fahren. Wo morgens die Sonne auf- und abends die Straßenbeleuchtung angeht und es immer gemütlich riecht. Normale Familie, normale Kindheit, normale Karriere. Eine Normalität ohne den bedrohlichen Unterton der Ausgrenzung.
    Aber genau in diesem Moment holen mich die Figuren wieder ein. Sie jagen mich tiefer und tiefer in den Wald. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Samenkörner und Schmutz vermischen sich damit und fangen an zu jucken. Dornengestrüpp zerkratzt meine Haut. Von unten greifen Schlingpflanzen an, die sich um die Füße wickeln und mich festzuhalten versuchen. Ich reiße mir das Handtuch vom Kopf und versuche schneller zu sein als die Figuren. Nie könnte ich einer von ihnen sein, und wenn es möglich wäre, würde ich es nicht wollen.
    Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und bleibe auf der Stelle stehen. Die Reliefzeichnungen laufen durch mich hindurch, als ob ich Luft wäre.

    Als es mir endlich gelingt, dem Wald wieder zu entkommen, empfängt mich goldene Helligkeit. Ich werfe einen letzten Blick zurück. Hinter einem Baum tritt ein Junge hervor. Er trägt einen Verband um den Kopf wie ein Kriegsveteran mit einer Schussverletzung und ruft: »Halt, warte auf mich!« Kurz darauf ist er nur noch zehn Schritte von mir entfernt. »Ein Glück, dass du gekommen bist!« Er ist außer Atem und sieht krank aus. Er nimmt meine Hand, und wir gehen ein Stück zusammen.
    »Wie ist es hier denn so?«, will ich wissen.
    »Ach, am Anfang war es ganz spannend, aber dann habe ich mir beim Versteckspielen am Kopf wehgetan, und es war nicht mehr so toll. Dann hatte ich Heimweh und wollte nach Hause, aber das ging nicht. Und dann bin ich krank geworden.« Er bleibt plötzlich stehen und blickt mich an. »Du?«
    »Ja?«
    »Warum bin ich hier?«
    »Weiß ich nicht. Wahrscheinlich weil du krank
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