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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Autoren: Frank Spilker
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Verzierungen, höchstwahrscheinlich die hier übliche Tracht. Außen laufen zwei Mädchen, rechts die größere der beiden und insgesamt die Älteste. Sie hebt den linken Arm und scheint die Gruppe mit dieser Geste wie ein Schäfer zusammenhalten zu wollen. Das Mädchen auf der gegenüberliegenden Seite umfasst schüchtern die Hand der Frau. Im Zentrum des Bildes gehen die beiden Jungen. Einer von ihnen prescht mutig voran, der andere blickt freudig zu der Frau hinauf. Die Gruppe läuft im Sonnenschein einen Berg hinab.
    Es ist die bildgewordene Zielvorstellung des Unternehmens Ferienheim und drückt nebenbei die Werte seiner Entstehungszeit aus. Die Mädchen lernen gerade, in die Mutterrolle hineinzuwachsen, während sich die Jungen für den Kampf rüsten. Die Erzieherin begleitet die Kinder mit liebevoll-besorgtem Blick.
    Mich verstört der Imperativ, den das Relief ausstrahlt. So wie die Kinder von der Wand herunterlächeln, sind alle Anzeichen, welche die Idylle trüben könnten, ausgemerzt: schlechte Laune, Krankheit, Lebensuntüchtigkeit. Thomas Troppelmann würde nicht in diese Familie passen. Und nichts von dem, was er erlebt hat, passt in diese Szenerie. Es ist, als gäbe es hinter dem Bild ein zweites Bild, das niemand zu sehen bekommen soll.
    »Du bist aus!«
    »Was?«
    »Eins, zwei, drei. Du bist aus! Wir sind noch drinnen, aber du bist aus!«
    Mit dem Gefühl des Ausgezählten gehe ich weiter. Überall stehen antike Statuen. Wenn ich genauer hinschaue, entdecke ich hier und dort ein paar Spielgeräte auf dem Boden, aber Kinder sehe ich keine. Einmal blickt jemand aus dem Gang heraus in meine Richtung. Eine erwachsene Person, mehr ist nicht zu erkennen, und ich beeile mich, das Handtuch wieder von meinem Kopf verschwinden zu lassen. Ich fühle mich ertappt, und mein Herz rast, obwohl es keinen Grund dazu hat. Am liebsten würde ich in ein Gebüsch springen, doch ich gehe weiter um das Haus herum, als wäre ich ein ganz normaler Spaziergänger. Noch mehr Statuen, die im Halbkreis eine Terrasse säumen, von der aus man einen malerischen Blick über das Tal haben müsste, wenn etwas zu sehen wäre. Zwischen Parkplätzen und Wirtschaftshütten erstreckt sich ein weiterer kleiner Park, eine Kulturlandschaft mit kurz gemähtem Rasen und akkurat beschnittenen Gewächsen. Auch hier liegen ein paar Spielzeuge herum. Das ganze Gelände ist eingezäunt, ebenso wie das Stück frisch aufgerissener Erde, das an diesen Park grenzt. Es sieht aus wie eine Wunde im Fleisch des Waldes, die das flächendeckende Grün lehmig und sandig unterbricht, und scheint ein Gehege für wilde Tiere zu sein. Raubtiere, Bären, die nicht zu den Menschen passen und ihnen gefährlich werden können, werden hier eingesperrt. Ein wohl beinahe sieben Meter hoher Zaun umgrenzt die Wunde so geschickt, dass man ihn nach Wiedereinsetzen des Grünwachstums kaum noch bemerken wird. Der Zaun, der die Kulturlandschaft umfasst, ist deutlich niedriger, aber ebenso geschickt zwischen Bäumen und Hecken versteckt und ähnlich deprimierend. Ein Zaun eben, verborgen oder nicht. Eine Grenze.

18
    Ich schrumpfe zurück auf Kindergröße. Die Farne und Büsche werden riesig und die Bäume zu Giganten. Ich werde durch die Wälder getrieben, um gesund zu werden, zusammen mit anderen, die noch kränker sind als ich. Wir bilden Untergruppen. Asthma und Nichtasthma. Asthma ist ansteckend und darf Nichtasthma auf keinen Fall begegnen. Wenn es aus Zufall doch dazu kommt, werden die Gruppen schleunigst wieder auf Abstand gebracht. Dabei müssen die Gesünderen meistens in den Wald springen. Nach der Begegnung haben sie dann das Gefühl, ein Abenteuer erlebt zu haben.
    Alles ist klar geordnet, eine eindeutige Hierarchie. Ganz oben die Gesunden. Die vorübergehend Kranken kommen vor den chronisch Kranken. Ganz unten die Bettnässer. Sie werden behandelt, als wäre ihr Problem eine Charakterschwäche, die nur durch drakonische Strafen behandelt werden kann. Hauptsache ist, die Kinder strikt voneinander zu trennen. Die Guten von den Schlechten, die Kranken von den Gesunden.
    Bilder tauchen auf. Idyllische Bilder wie die von den Kindern, die einen Berg hinablaufen. Spielen im Park. Der Plumpsack geht um. Fangen, Verstecken. Die Bilder vermischen sich mit einem Gefühl von Einsamkeit und Heimweh und gehen über in andere Schauplätze. Das Gefangensein an einem dunklen Nachmittag bei starkem Regen. Der Geruch von Wachskreide und Plastikspielzeug. Die Zeit, die sich in die
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