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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman
Autoren: Arno Geiger
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leider fiel nie etwas Ärgeres vor.
    Als er diesmal kam, hoffte Alma, daß die Epoche der Staatsvertrags-Zähne endlich vorbei sei. Doch die verlangte Begutachtung führte lediglich zu der Feststellung, daß die von Richard beargwöhnten Sprünge nichts weiter waren als die dem Gaumen entsprechenden Erhöhungen und Vertiefungen.
    – Von kaputt kann keine Rede sein. Abgenutzt und schlecht gepflegt, das allerdings.
    – Was willst du damit sagen? fragte Richard. In seinen Augen ein Ausdruck unsäglicher Verwunderung und das zur Gewohnheit gewordene Mißtrauen, als gebe er sich inmitten der Disteln und Dornen dieser Welt redlich Mühe zu begreifen, was Alma im Schilde führt.
    – Na, daß du dich ehrlich freuen kannst. Was das Mechanische anlangt, sind deine Zähne nach nahezu dreißig Jahren noch immer tadellos. Wir könnten uns glücklich schätzen, wären wir nur halb so unsterblich.
    – So ein Quatsch. Ich finde, ich hätte mir wünschen dürfen, daß sie noch ein paar Jahre halten.
    Alma versuchte ihm nüchtern und in kurzen Worten beizubringen, einerseits was es mit den Furchen, andererseits was es mit den diversen Belägen auf sich habe, bräunlichen Ablagerungen in allen Schattierungen, die vorne wie Korrosionsflecken aussahen und sich in den hinteren Regionen mit den Stockzähnen zu einer einzigen Masse verklumpt hatten. Ihren Widerwillen hielt sie aus dem, was sie sagte, heraus. Trotzdem trugen ihr ihre Deutungen mitleidige Blicke, abschätzige Handbewegungen und gönnerhafte Repliken ein, die alle auf dasselbe hinausliefen, daß in ihrem Kopf nicht allzuviel los sein könne.
    Das ist überhaupt so eine fixe Idee von ihm. Alles, was sie sagt, ist am Ende lächerlich oder banal oder überdreht. Davon verstehst du nichts, hört sie dann meistens. Und dazu dieses siebengescheite Minister-Getue. Immer das gleiche. Wie oft schon. Sie reagiert gar nicht mehr darauf, denn jede Widerrede wird mit dem unweigerlichen Standardargument quittiert, daß sie (Alma) an Verfolgungswahn leide. Was soll’s. Es lohnt sich nicht. In so eine Rolle wächst man mit der Zeit hinein. Sie begnügt sich damit, es sich selbst zu erklären, daß Richards Haltung eine Spezialität der Männer ist, die noch vor dem ersten Krieg geboren sind, nicht nur von denen, aber von denen ganz besonders. Es hat mit dem zu tun, was diese Männer als Buben in den sogenannten guten Häusern und in der Schule gelernt haben: Daß Frauen haushalten sollen, ab und zu im Bett funktionieren (aber nicht zu oft und wenn, dann im Schweinsgalopp) und daß zum Kinderkriegen und -großziehen Intelligenz nicht erforderlich ist, weil das nötige Hirnschmalz durch die sporadische Anwesenheit des Haushaltsvorstandes eingebracht wird. Oder durch reine Gedankenübertragung, da der Mann mit den Kindern ja ohnehin nicht redet. Was aber Entscheidungen, Finanzen und technische Dinge anbelangt, haben Frauen das Maul zu halten, ja. Klappe. Daß Alma das viel zu oft getan und damit mehr als nur einen Fehler begangen hat, merkte sie erst, als es zu spät war. Das erste Mal 1938, kurz nach dem Anschluß, als Richard aus nie ganz klargewordenen Gründen das Wäschegeschäft ihrer Mutter an eine Handelskette abgab und den Namen Arthofer aus dem Register streichen ließ, obwohl zur selben Zeit auch die vielen jüdischen Geschäfte zur Übernahme gestellt wurden und das Gerangel um die besseren Lagen begann. Daß Richard weder zu den neuen Herren noch zur reichsdeutschen Strumpfindustrie wechseln wollte, hat Alma ihm nicht so recht abgenommen. Hinter eventuelle andere Gründe ist sie allerdings auch nie gekommen. Was da bloß dahintersteckte? Irgendein verschwiegener Ausdruck von Eigensinn, der sich mit einer beeindruckenden Zeitverzögerung von fast zehn Jahren wenigstens für Richard bezahlt gemacht hat. Spät, aber doch. Richard mußte nie für die Jahre vor 1945 Rechenschaft ablegen, als es um seine Karriere ging. Lediglich Almas Interessen blieben auf der Strecke, wenn auch der Verkauf des Wäschegeschäfts durch den fast gleichzeitigen Erwerb von Dr. Löwys Bienenhaus teilweise kompensiert wurde, eine neue Beschäftigung für die Gattin, ohne besondere Ansprüche und noch dazu im eigenen Garten.
    – Diese Zähne sind gebrochen, das ist schade, sie sind erledigt, sagte Richard mit wichtiger Miene.
    – Sind sie nicht. Aber von mir aus kannst du sie trotzdem gerne der Mission vermachen.
    – Dein Spott ist genau das, was mir fehlt. Gib sie mir zurück. Ich werde mich
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